Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mein schwacher Wille geschehe

Titel: Mein schwacher Wille geschehe
Autoren: Harry Nutt
Vom Netzwerk:
biochemische Prozesse im Gehirn. Sie stellen so etwas wie trojanische Pferde dar. »Das Gehirn wird durch sie umprogrammiert. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, was einer langfristig will.« Die Frage, warum wir so häufig wider besseres Wissen handeln, beantwortet sich Stefan Klein so: »Es gibt im Gehirn ein Belohnungs- oder |21| Erwartungssystem. Wenn eine bestimmte Erwartung übertroffen worden ist – sei es durch eine Gehaltserhöhung, ein Kompliment oder einen Gewinn am einarmigen Banditen –, werden Substanzen wie Dopamin etc. freigesetzt. Damit ist immer ein Lernprozess verbunden. Das Gehirn wird umprogrammiert für den Fall, dass eine solche Situation wieder auftaucht.« Dieser Lernprozess sei in erster Linie verantwortlich dafür, dass Glücksspiel ebenso abhängig machen könne wie stoffliche Drogen. Der chemische Eingriff in das Gehirn, sagt Stefan Klein, wirke jedoch viel stärker als beispielsweise eine Belohnung. Demzufolge seien chemische Süchte auch viel zerstörerischer als andere. Die biochemischen Prozesse aber verliefen sehr ähnlich.
    Doch woher kommt, jenseits des Einsatzes von Drogen, die Neigung, mal so und mal anders zu entscheiden? Stefan Klein erklärt sich das so: »Vieles, was wir uns vornehmen und dann spontan anders entscheiden, ist uns nicht wirklich bewusst. Es war die große Leistung Freuds, die Instanz des Unbewussten erkannt zu haben. Wenn ich morgens ein Blouson anziehe, obwohl ich mich zunächst für ein Jackett entschieden habe, dann ließ vermutlich eine mir mehr oder weniger unbekannte Motivation das Blouson attraktiver erscheinen.« Alles, was wir tun, sei Folge einer Abwägung erwarteter Gewinne. Wir kennen jedoch weder alle unsere Erwartungen, noch die Motivationen, die uns antreiben. Der Verstoß gegen einen Vorsatz erfolge aus der kurzfristig höheren Bewertung gegenüber der Einhaltung einer bekannten Regel.
    Das hat eine lange evolutionäre Geschichte. Langfristiges Abwägen sei im Tierreich etwas sehr seltenes. Einer Ratte, sagt Klein, brauchen Sie mit Argumenten über Selbstschädigungen nicht kommen. Wenn Sie die an Alkohol gewöhnen, dann saufe sie sich zu Tode. Viel erstaunlicher sei daher die Tatsache, dass wir uns überhaupt kontrollieren können. »Das verdanken wir den spezifisch menschlichen Eigenschaften unseres Gehirns – den Regionen |22| des Stirnhirns, die bei uns viel ausgeprägter sind als bei allen anderen Tieren«, sagt Klein. »Und wir sind in der Evolutionsgeschichte sehr gut damit gefahren. Die Fähigkeit, planen und uns selbst kontrollieren zu können, hat uns unabhängiger von der Natur gemacht.«
    Skeptisch ist Stefan Klein in Bezug auf praktische Anleitungen für menschliches Handeln im Alltag. So bezweifelt er den Nutzen von To-do-Listen, die dabei helfen sollen, das häusliche Chaos zu beheben oder das Zeitmanagement zu verbessern. In den entsprechenden Ratgebern werden oft viel zu lange Zeiteinheiten als Lösung vorgeschlagen, die dann lautet: Arbeite zwei Stunden lang deine Post ab. Unsere Aufmerksamkeit operiere aber auf sehr viel kürzeren Zeitskalen. Wir haben, so Klein, oft eine sehr absurde Vorstellung von der Planbarkeit des Lebens. »Es hat sich eine Haltung breit gemacht, dass jede Stunde mit strukturierten Tätigkeiten ausgefüllt sein sollte. Das ist langfristig keine gute Idee, weil Sie nicht offen sind für Unerwartetes.«
    Den Raum für Unerwartetes versuchen Sascha Lobo und Kathrin Passig mit ihren Überlegungen zum Phänomen des Aufschiebens und Nicht-fertig-Werdens zu erweitern, indem sie auf deren schöpferische Potenziale verweisen. Ihrem Buch
Dinge geregelt
kriegen ohne einen Funken Selbstdisziplin
sind zunächst eigene Erfahrungen vorausgegangen. Anschließend wurden empirische Stichproben gemacht. »Ich habe bei den Recherchen für unser Buch auch Leute gefragt, die auf einem bestimmten Gebiet, zum Beispiel beim Einhalten von Terminen, überhaupt keine Probleme mit dem Umsetzen von Vorsätzen haben«, sagt Kathrin Passig. »Die haben übereinstimmend gesagt, dass sie dafür keine besondere Willenskraft aufbringen müssen. Sie führen ihre Sachen einfach zu Ende. Ein Journalist und Autor meinte sogar, den Redakteuren in Zeitungen wären Autoren lieber, die erst zum Text gedrängt werden müssen. Das festige ihr Selbstbild als Redakteur, wenn sie den chronisch Verspäteten gut zureden müssen. |23| Leute, die immer pünktlich liefern, machen den Redakteur ja auch beinahe überflüssig.«
    Die Konflikte, die aus
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher