Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Offizier und Gentleman

Mein Offizier und Gentleman

Titel: Mein Offizier und Gentleman
Autoren: ANNE HERRIES
Vom Netzwerk:
überhaupt her? Ich kenne dich nicht. Geh weg.“
    Doch der Hund bellte nun noch lauter. Er wirkte mit seinen kräftigen Kiefern und scharfen Zähnen wie ein Jagdhund, der aufs Zuschnappen getrimmt war.
    Unruhig betrachtete Lucy ihn; sie wusste, sie würde sich nicht hinuntertrauen, solange der Hund dort unten stand. Zwar fürchtete sie Hunde nicht generell, doch dieser wirkte recht gefährlich, und da sie ihn nicht kannte, konnte sie seine Reaktion nicht einschätzen.
    „Lucy, wo bist du? Mama sucht dich!“ Drüben auf der Terrasse rief Marianne nach ihr, ging jedoch wieder ins Haus zurück, ehe Lucy sich bemerkbar machen konnte.
    Ein Blick nach unten zeigte ihr, dass der Hund immer noch da war, und als sie sich ein wenig regte, begann er gleich wieder lauthals zu bellen.
    „Ach, geh doch, du grässliches Tier! Ich will hinabsteigen.“
    „Das können Sie unbesorgt, Brutus wird Ihnen nichts tun“, hörte sie jemanden sagen. Sich von ihrem erhöhten Platz umsehend, entdeckte sie, dass ein Reiter sich genähert hatte und nun nahe ihrem Baum anhielt.
    „Hierher, Bursche! Platz, hörst du! Platz!“, befahl der Mann, und der Hund gehorchte sofort und setzte sich seinem Herrn zu Füßen, wobei er jedoch Lucy, die nun vorsichtig ihren hohen Sitz verließ, im Auge behielt.
    „Ich war ein wenig ängstlich“, erklärte sie, während sie ihre Röcke zurechtrückte. Himmel, der Mann musste während ihres Abstiegs ihre Beine gesehen haben! Wenn er nicht gar einen Blick auf ihre Strumpfbänder erhascht hatte! „Der Hund wirkt recht wild.“
    „Ich fürchte, sein Äußeres spricht nicht für ihn“, antwortete der Herr lächelnd. Er hatte gerade eine Aussicht genossen, wie sie eine wohlerzogene junge Dame nur äußerst selten gestattete. Dass sie eine Dame war, daran zweifelte er nicht, trotz der Tatsache, dass sie in dem Baum gehockt hatte. „Aber er hat einen sehr sanften Biss, denn er ist darauf trainiert, Jagdbeute zu apportieren. Und üblicherweise verhält er sich einer Dame gegenüber nicht so ungalant. Sicher glaubte er, Sie hätten dort oben nichts Gutes im Sinn.“ Er sah zu dem Ast auf, auf dem Lucy gesessen hatte. „Sie müssen zugeben, es ist ein ungewöhnlicher Sitzplatz für eine Dame.“
    „Ja …“ Lucys Wangen glühten feuerrot. Sie war sich ihres ungehörigen Betragens überaus bewusst. „Mama würde mich schelten, wenn sie davon erführe. Oft genug hat sie mir schon untersagt, auf Bäume zu klettern – obwohl ich es als Kind noch durfte. Eigentlich bin ich nun zu alt für solche Albernheiten.“
    „Tatsächlich?“ Er betrachtete sie nachsichtig, offensichtlich hielt er sie auch jetzt noch für ein Kind. „Wie alt sind Sie? Sechzehn?“
    „Ich bin vor zwei Wochen achtzehn geworden“, sagte Lucy betont, wagte aber kaum, ihn anzusehen. Er würde sie für einen Wildfang halten, und das war sie ja auch wirklich. „In wenigen Wochen wird Mama mich nach London bringen, für meine erste Saison.“
    „Sie machen mich staunen. Ich hätte Sie für jünger gehalten. Wenn Sie erst in die Londoner Gesellschaft eingeführt sind, werden Sie Ihren Drang, auf Bäume zu klettern, zügeln müssen, junge Dame, sonst erregen Sie das Missfallen diverser Gastgeberinnen, und das wäre ein Jammer. Wie schade, wenn Sie in der Gesellschaft nicht den Ihnen gebührenden Erfolg hätten.“ Er wandte sich dem Hund zu. „Brutus, mir nach!“, rief er, trieb sein Pferd sanft an und trabte davon, auf die Stallgebäude zu, die rechterhand hinter dem Herrenhaus lagen.
    Erleichtert atmete Lucy auf, als der Hund gehorsam hinter seinem Herrn hertrottete, dann fl oh sie förmlich über den weiten Rasen in die Sicherheit des Hauses.
    Sie glaubte zu wissen, wer der Gentleman war, obwohl sie ihn seit Mariannes Hochzeit nicht mehr gesehen hatte. Ihr Puls raste. Sie hatte nicht erwartet, dass Lord Harcourt zur Taufe der kleinen Andrea kommen würde. Natürlich war er Drews bester Freund, aber da er ihr bei keinem ihrer früheren Besuche auf Marlbeck Place begegnet war, hatte sie ihn auch jetzt nicht unter den Gästen erwartet.
    Ach, warum musste ausgerechnet er sie da oben erwi schen? Lucy biss sich wütend auf die Lippe; sie wusste genau, das Intermezzo hatte ihn sehr amüsiert. Tatsächlich war sie ja auch sehr töricht gewesen. Hätte sie doch nur nicht in einer so unwürdigen Situation gesteckt! Er musste sie für ein dummes kleines Mädchen halten – und genau so hatte sie sich betragen! Mit heißen Wangen rannte sie die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher