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Mein Offizier und Gentleman

Mein Offizier und Gentleman

Titel: Mein Offizier und Gentleman
Autoren: ANNE HERRIES
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Tag nach Sir Frederic Collingwood Ausschau gehalten, der aber wohl, wie man hörte, in Newmarket sein sollte. Nun überlegte Jack, ob er ihm folgen und die Angelegenheit sofort klären oder sich ein wenig Bedenkzeit gönnen sollte. Er öffnete den Brief seiner Schwester, die ihm ihre Rückkehr nach England mitteilte. Vor einem Monat schon war sie ohne ihren Gatten aus Indien heimgekehrt, da ihr kleiner Sohn David das heiße Klima nicht vertrug.
    Kein Wort in ihrem Schreiben sprach davon, wie unglücklich sie war, nur der Ton bewies, dass sich nichts geändert hatte. Dass Staunton ihr überhaupt erlaubt hatte, Indien zu verlassen, lag einzig in seiner Furcht begründet, andernfalls seinen Erben zu verlieren.
    Fluchend ließ Jack den Brief sinken. Wenn es nach ihm ginge, würde Amelia ihren Gatten auf der Stelle und für immer verlassen. Der Mann war ein brutales Scheusal, und wenn es gerecht zuginge, würde Amelia sich scheiden lassen können, ohne ihm das Kind überlassen zu müssen, aber die Gesetze waren auf Stauntons Seite.
    Obwohl Jack wusste, wie todunglücklich Amelia war, konnte er nichts tun, solange sie sich weigerte, seinen Ratschlägen zu folgen.
    Jack öffnete den zweiten Brief und lächelte. Sein Freund Drew lud ihn zur Taufe seines Töchterchens ein. Jack schätzte ihn wie nur wenige Männer seiner Bekanntschaft, und er wusste, wie stolz Drew auf die Kleine war. Als einer der reichsten Männer Englands und Besitzer eines stolzen Titels hätte man ihm verziehen, wenn er sich enttäuscht geäußert hätte, weil sein erstes Kind ein Mädchen war, doch er betete das kleine Wesen für jedermann sichtbar förmlich an – ebenso wie er die Liebe zu seiner Gattin offen zur Schau stellte.
    Mit einem Lächeln erinnerte Jack sich an die Hochzeit der beiden. Danach waren nur einige wenige Besuche bei dem Paar erfolgt, da er sich bis vor Kurzem noch Staatsangelegenheiten hatte widmen müssen, die keine Zeit für persönliche Vergnügungen ließen. Und als er diese Dinge endlich hinter sich lassen konnte, übermannte ihn der Kummer über den sinnlosen Tod David Middletons und raubte ihm jede Lebensfreude.
    Nun endlich, in dem Gefühl, der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen zu können, hatte er diesen Anfall von Verzweiflung abgeworfen. Er würde nicht ruhen und rasten, bis Collingwood im wohlverdienten Kerker schmachtete, falls der Mann sich tatsächlich als Betrüger und Mörder entpuppte.
    Leider waren ihm die Hände gebunden, solange sein Verdächtiger sich nicht in der Stadt zeigte, deshalb beschloss Jack, zuerst einmal der Taufe beizuwohnen, die auf Marlbecks Landsitz statt fi nden sollte.
    Die Tochter des Marquis of Marlbeck war in der schönen alten Kirche getauft worden, deren Pfarrer Lucys Vater einst gewesen war. Nun strömten die Gäste wieder zurück nach Marlbeck Place, wo der Empfang abgehalten wurde, und das Herrenhaus wimmelte von Besuchern. Lucy nutzte die erste beste Gelegenheit, um zu entwischen, denn so wunderschön das Haus auch war, sie hielt sich lieber im Freien auf, besonders bei so angenehmem Wetter – es war warm, aber nicht drückend. Wenn man die weite Rasen fl äche vor dem Haus überquerte, lockten am Rande des großen Parks ein paar mächtige alte Bäume, die Lucy schon früher erkundet hatte. Eine ehrwürdige Eiche mit tiefhängenden Ästen war ihr bevorzugter Platz. Aus deren hoher Krone hatte man einen herrlichen Ausblick, ohne selbst gesehen zu werden. Rasch raffte Lucy die Röcke ihres weißen Musselinkleides und begann ihren Aufstieg. Weit oben richtete sie sich auf einem dicken Ast inmitten des grünen Blätterdaches häuslich ein und konnte von diesem erhöhten Sitz sogar die rückwärtige Seite des Hauses sehen. Ein paar Damen wandelten dort auf der Terrasse einher, von zierlichen Schirmchen vor der Sonne geschützt. Vage ging Lucy durch den Kopf, wie sehr ihre Mutter sie oft schalt, weil sie trotz ihrer Neigung zu Sommersprossen ohne Kopfbedeckung aus dem Hause ging. Mama hatte ihr sogar schon eine Lotion zum Bleichen der ungeliebten kleinen Tupfen besorgt, doch vergebens, mit dem Sommer fanden sie sich stets aufs Neue auf ihrer Nase ein.
    In Träumerei versunken, bemerkte sie den Hund erst, als er wild bellend unter dem Baum stand. Missmutig betrachtete sie das große schwarze Tier, das nun ein tiefes Knurren ausstieß und sich mit den Vorderpfoten an dem Baumstamm hochreckte.
    „Geh fort!“, rief Lucy. „Und hör auf zu knurren, du grässliches Ding. Wo kommst du
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