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Mein Name war Judas

Mein Name war Judas

Titel: Mein Name war Judas
Autoren: C. K. Stead
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Göttlichkeit mit zahlreichen »Wundern« unter Beweis gestellt hat, die auch jetzt noch jederzeit geschehen können. Als sicher gilt auch, dass es nichts weiter als »Glaube« braucht, um das ewige Leben zu erlangen – unwiderstehliche Angebote in einer Welt voller Armut, Elend, Schmerz und Tod. Natürlich begegnen Bartolomäus und die anderen »Christen«, wie sie sich nun nennen, immer wieder Zweiflern und Spöttern, doch sie treffen auch auf offene Ohren, und mehr und mehr Menschen bekennen sich zu dem neuen Glauben. Für mich bedeutet es, dass mein früherer Name, Judas Iskariot, immer bekannter wird, im Westen und Norden und wo immer die neuen Jünger die Botschaft verbreiten. Es ist der Name des Mannes, der den Gottessohn verraten hat. Ich bin froh, dass ich Namen und Identität schon vor langer Zeit gewechselt habe und seither Idas von Sidon bin, Idas, der Grieche, Idas, der Poet.
    Meine Hausgäste wollen weiterziehen, was immer Ptolemäus’ Beweggründe sein mögen – der Wille Gottes, wie er wohl sagen würde. Zusammen mit seinem getreuen Diener Reuben will er sich am nächsten Morgen auf den Weg machen. Ich habe meine Schwiegertochter gebeten, uns ein Abschiedsmahl zu bereiten, ein letztes Abendmahl, wie ich es nannte, aber nicht Ptolemäus gegenüber. Gern war ich sein Gastgeber, aber es wird auch schön sein, das Haus wieder für mich allein zu haben.
    Theseus leistete uns beim Essen Gesellschaft, und wir tafelten auf der Terrasse unter Palmen. Fledermäuse flatterten umher, und der Himmel war noch lange nach Sonnenuntergang violett, blau und grau. Als ich es erwähnte, sagte Ptolemäus, er vermisse die Farben dieser Welt schmerzlich. Dann kam der Prediger in ihm durch und verspielte das Mitleid, das diese Bemerkung hervorrief, indem er sagte, seit er blind sei, sehe er die Farben des Himmels umso deutlicher, und das bedeute ihm unendlich mehr.
    Ich erzählte ihm, dass der Himmel in meiner Vorstellung schon früher farblos war und ich das heute, als alter Mann, durchaus logisch fände.
    Er fragte, was daran logisch sei.
    »Da nichts farblos ist«, erwiderte ich, »gibt es keinen Himmel. Er existiert nur in der Fantasie.«
    Ptolemäus lächelte und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Logik an sich hat ihre Grenzen.«
    »Nur der Glaube – im Gegensatz zu allem anderen, was wir kennen – hat keine?«, sagte ich provokant.
    Wir hatten gut gegessen und tranken Wein, der uns die Zunge löste, und ich fuhr fort: »Ich habe mich daran gewöhnt, dich Ptolemäus zu nennen, aber eigentlich bist du für mich Bartolomäus.«
    »Ich war Bartolomäus.«
    »Ich weiß«, sagte ich. »Ich kannte dich damals.«
    Er schwieg, und seine toten Augen suchten nach mir, als versteckte ich mich im Weinspalier vor ihm. Dann sagte er: »Deine Stimme …«
    »Du erkennst sie wieder?«
    »Sie erinnert mich an eine, die ich kannte.«
    »Es ist eine, die du kanntest.«
    Wieder schwieg er. Vielleicht spürte er meiner Stimme nach. Sie hatte ihn ja schon vor Tagen stutzig gemacht.
    Ich sagte: »Wir sind zusammen durch die Lande gezogen.«
    Er saß stocksteif da.
    »Mit Jesus.«
    Leise, ernst und voll böser Vorahnung fragte er: »Wie war dein Name?«
    »Mein Name war Judas.«
    Er wusste, dass es die Wahrheit war. Ich konnte es seinem Gesicht ansehen. Seine Ohren hatten es ihm schon lange verraten, aber er hatte sich gegen die Erkenntnis gewehrt. Selbst als ich es jetzt aussprach, konnte er es nicht akzeptieren. Es durfte nicht wahr sein. »Unmöglich«, sagte er.
    »Doch. Judas Iskariot.«
    »Nein.« Verärgert schüttelte er den Kopf. »Der ist tot.«
    »Bist du dir sicher?« Ich hatte gehört, wie er in seinen Predigten über meinen Selbstmord sprach, den Selbstmord von »Judas, dem Verräter«. Er hatte sogar behauptet, mit eigenen Augen gesehen zu haben, wie mein Körper von dem Feigenbaum abgeschnitten wurde, den Jesus verflucht hatte.
    »Ja, ganz sicher.«
    »Dann bin ich wohl von den Toten auferstanden.«
    Er stand auf. Mit einer Hand griff er nach dem Kreuz, das er an einer Kette um den Hals trug, mit der anderen tastete er nach Reubens Schulter.
    Ich sagte: »Du glaubst an Jesu Auferstehung. Warum nicht an meine?«
    Auch Reuben stand auf, und Ptolemäus folgte ihm zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal zu mir um. »Das hättest du mir sagen sollen, bevor du mich in dein Haus einludest.«
    »Und du hättest mir sagen sollen, dass du Bartolomäus bist.«
    »Verdammt seist du«, zischte er. »Immer hattest
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