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Mein Name ist Eugen

Mein Name ist Eugen

Titel: Mein Name ist Eugen
Autoren: Klaus Schädelin
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Schirmständern und so weiter bestand. Bei dem Dachfenster vorne war der Start. Von hier aus ging es zuerst um den Schrank, dann unter den Schreibtisch, dann zwischen der Gipsbüste vom Beethoven und noch einem anderen hindurch, hierauf haarscharf am Wandspiegel vorbei, und schliesslich die Zielgerade bis zur Treppe. Der Wrigley rühmte mich nach den ersten Trainingsrunden ganz gegen seine Gewohnheit, und ich bekam das, was der Koblet Mumm nennt. Ich witterte einen Streckenrekord. «Eugen, zeig es ihnen», dachte ich nach einem raketenartigen Start, als ich mich unter den Schreibtisch bückte. Nachher drehte ich noch mehr auf, aber weil ich die Gipsbüste des Anderen streifte, sah ich mich um, und schon war ich im Beethoven, so, dass der Wrigley nachher sagte, der habe von nun an höchstens noch den Gipswert.
    Ohne Lärm ging das natürlich nicht, und wo Lärm ist, da ist sofort auch die Tante Melanie.
    Sie erschien auf der Bildfläche, noch ehe wir vollends im Schrank verschwunden waren. So, wie man etwa eine Katze am Schwanz unter dem Bett hervorzerrt, zog sie uns der Reihe nach ans Licht, und ich zweifle, ob wir die Angelegenheit seelisch überstanden hätten, wenn nicht nach wenigen Minuten im ersten Stock drunten die Milch heraufgekommen wäre, so, dass man es hier oben roch. Mit einem Schreckensschrei gab sie ihrer Milch den Vorzug, und seither bestätige ich gerne, dass ich, was an mir liegt, den letzten Beethoven meines Lebens überfahren habe, und überdies begreife ich seither den lieben
    Gott viel besser, dass er gesagt hat: «Du sollst dir kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis machen.»
    Aus diesen Gründen war es immerhin verwunderlich, als der Wrigley unvermittelt anfing, sich mit der Tante anzubiedern. Er trug ihr Kohlen herauf und Kehricht hinunter; er spielte auf ihrem Klavier mit einem Finger züchtige Lieder; ja, er war sogar einverstanden, dass sie mit ihm über die Jugend von heutzutage sprach. Er wurde mir immer mehr zum Fragezeichen, bis er mir nach vierzehn Tagen endlich, als wir auf dem Dachboden mit Brennholz eine Burg errichteten, des Rätsels Lösung bot.
    Wieder einmal schwärmte er vom hohen Beruf des Schauspielers, und wie er sich ganz in seine Rolle versenke, und was die anderen wohl für Augen machen, wenn er ihnen nächste Woche bei der ersten Probe des Stücks eine ausgewachsene Tante bieten werde. Er habe keine Mühe gescheut, der Melanie ihre sämtlichen Kniffe abzulauschen: Zum Beispiel Baseldeutsch könne er bereits wie angeboren, und er gehe jede Wette ein, dass selbst ein Kenner ihn verwechseln müsse. Das brachte ihn auf die Idee, den Beweis anzutreten. Er zerrte mich die Treppe hinunter und flüsterte, ich solle jetzt bloss schweigen, hören, warten und dann davonrennen. Die Tante schlafe um diese Zeit, und weil sie überdies schwerhörig ist, war sein Plänlein einfach. Er stellte sich im Gang vor ihrer Türe auf und schrie:
    «Paula!!» (das ist meine Mutter) «Kum abe, es isch mr schregglig schiächt! Aber me ka rieffe, es nutzt nytt! Stärbe ghennt me, es kraiti kai Hahn drno!»
    Nach diesem Schrei machten wir uns treppab, und noch ehe wir die Haustüre erreichten, hörten wir meine Mutter aus dem obersten Stockwerk herunterrasen und die Türe im ersten Stock zuschlagen.
    Als wir nach einer halben Minute wieder so unschuldig hinaufstiegen, als kämen wir aus der Schule und die Nase in Tantes Wohnung steckten, da hatte die Mutter unsere Baslerin bereits aus einem Nückerchen geweckt, und weil sie sehr verwirrt und unwirsch tat, meinte die Mutter, es stehe wohl sehr bös. Der Wrigley holte Wasser und begoss die Tante. Ich hielt ihr den Kopf, und wir waren so hilfreich und besorgt, dass die Mutter nachher fand, wir hätten sehr schön gehandelt, und ein solches Verhalten mache manche Untat wieder gut.
    Die Alte sah uns aus ihren kleinen Äuglein erst eigenartig misstrauisch an, dann schimpfte sie eine Weile, dann brummelte sie etwas, dann begann sie in sich hineinzulächeln, und schliesslich sagte sie uns, das sei doch etwas Komisches mit allen Ohnmachtsanfällen, dass man hernach die letzten Minuten vor der Bewusstlosigkeit einfach aus dem Sinn verliere. Wenn wir nicht Zeugen wären, sie möchte wetten, dass sie vor einer halben Stunde aufs Bett gelegen sei, um ihr Schläfchen abzuhalten. Vom ganzen Zwischenfall habe sie keine Ahnung, und das sei doch typisch. Ihr Seliger zum Beispiel habe sich einmal zu Beginn einer Ohnmacht das Joghurt über den Kopf geleert und nachher
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