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Mein Leben im Schrebergarten

Mein Leben im Schrebergarten

Titel: Mein Leben im Schrebergarten
Autoren: Wladimir Kaminer
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zusammen oder schon geschieden?
Diese Frage bleibt in unserer Ode unentschieden.
Mir persönlich scheint eine ewige Bindung relativ übertrieben.
Und überhaupt wurde von Liebe zu viel geschrieben.
In jeder Partnerschaft geht es um Kompromisse.
Allein schon die Flügel, das war doch ein Deal!
Oder ging es um etwas anderes?
Versteh das, wer will!
     

 

     
5 - Rhabarber
     
     
    Nach der Lektüre der rechtlichen Vorschriften des Bundeskleingartengesetzes (BKleinG), der Baumschutzverordnung (BsV), des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KwG) sowie des Abfall- und Biotoilettengesetzes (BioAb) wurde mir klar, dass wir innerhalb von nur zwei Monaten gegen so ziemlich alle Paragraphen der in Deutschland bestehenden Gartenordnungen verstoßen hatten. Zu unseren Verbrechen gehörten unter anderem Ruhestörung, verbotenes Anpflanzen von Hecken zwischen den Parzellen und die vorsätzliche Anschaffung nicht zulässiger Pflanzen. Es gab kaum ein Verbot, das wir nicht übertreten hatten, außer vielleicht das zur Haltung von Großvieh in Kleingartenanlagen. Wir wären einem derartigen Vieh gegenüber allerdings nicht abgeneigt. Ich hätte sehr gern eine Kuh zu uns in den Garten gestellt, wenn man sie bei  Obi  günstig kaufen könnte. Die Kuh würde das Unkraut fressen und den Rasen misten. Die Kinder hätten mit ihr den ganzen Tag zu tun, und statt wie verrückt mit den Fahrrädern durch die Gartenkolonie zu rasen und Regenwürmer zu quälen, könnten sie zum Beispiel melken lernen. Selbstverständlich sollte es eine Kuh sein, die Winterschlaf hält, wie Bären es tun. Dazu könnte sie in unserer Laube von Oktober bis März das Doppelbett benutzen, das uns Frau Pflaume vererbt hat. Und im Frühling gäbe es dann wieder hauseigene Milch. Ich wüsste gerne, ob solche winterfesten Bärenkühe bereits irgendwo gezüchtet werden und wenn ja, wo man sie bekommen kann. Bisher fand ich jedoch noch nicht die Zeit, mich darum zu kümmern.
    Aber auch ohne Kuh hatten wir genug Sorgen. Für den 27. Mai hatte der Vorstand des Vereins eine Prüfungskommission angekündigt, die das Treiben der Gärtner in ihren Grünanlagen auf Rechtmäßigkeit kontrollieren sollte. Die Luft brannte. In den Gärten summte es unruhig, überall sah man Männer, Frauen und Kinder, die mit Besen, Schaufel, Harken, Leitern und Gasbrennern hin und her liefen. Die Arbeitsstimmung kochte hoch und höher. Mein netter fleißiger Nachbar Günther auf Parzelle N 119 lachte mich aus, weil er mich mehrmals mit dem Laptop im Garten sitzen sah: Mitten in der ganzen Aufregung fertigte ich Skizzen für meinen großen Schrebergartenroman an, anstatt beispielsweise den Rhabarber zu ernten.
    »Du, Schriftsteller, schreib schnell dein Buch, ehe sie dich hier wieder rausschmeißen«, riet er mir über den Zaun.
    Günther gehörte in der Gartenkolonie zu der kleinen Partei der Dissidenten und Gesetzesbrecher, die seit vielen Jahren erbittert gegen den Vorstand kämpften. Ihm ging es dabei um die Erhaltung seiner verbotenen Nadelbäume. Man durfte sie auf seinem Grundstück nicht haben, weil sie keine Früchte brachten, wegen der drohenden Verletzungsgefahr durch spitze Nadeln oder warum auch immer – das wusste niemand so genau. Aber die Nadelbäume waren bei Günther sicher: Solange er lebte, brauchten sie keine Angst zu haben. Die Liebe meines Nachbarn zu seinen Bäumen war nicht nur stärker als die Angst, den Vorstand herauszufordern, sie nahm permanent skurrilere, unnatürlichere, um nicht zu sagen, perversere Züge an. Fast täglich machte sich Günther an den Bäumen zu schaffen. Er schnitt sie mit einer speziellen Schere und einem erotisch angeregten Gesichtsaudruck, als hätte er mehr mit den Bäumen vor, als sie nur zu beschneiden. Egal, was er auf seinem Grundstück zu tun hatte, ihn zog es stets zu seinen drei Bäumen. Er führte bei ihnen eine Wurzelbehandlung durch, schüttete Vitamine in die Erde und warf besorgte Blicke in ihre Kronen. Manchmal saß er neben einem der Bäume und strich ihm zärtlich die Nadeln – auch ein Außenseiter. Mich aber hänselte er.
    »Hallo, Schriftsteller!« Günther winkte mir von seinem Grundstück aus zu und lachte. Lustigerweise hieß Günther mit Nachnamen Grass, wie der deutsche Nobelpreisträger, was ihm aber anscheinend gar nicht bewusst war. »Mein Nachbar Günther Grass und seine Nadelbäume«, dieses Kapitel muss noch geschrieben werden, dachte ich.
    Die gemeinsame Vorbereitung auf den Besuch der Prüfungskommission ließ
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