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Mein ist der Tod

Mein ist der Tod

Titel: Mein ist der Tod
Autoren: Gert Heidenreich
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neue Rathaus am Schillerplatz umgezogen war. Kurz darauf hatte sich seine berufliche Beziehung zu der Galeristin Martina Matt zu einer privaten vertieft.
    Die Mitarbeiter des einsneunundachtzig großen, breitschultrigen, schon seit seinem vierzigsten Lebensjahr grauhaarigen Kriminalhauptkommissars hatten ihn schließlich als das akzeptiert, was er war: Ein Mann, dem die Überführung eines Täters weniger galt als ein vollendetes Bild, und der dennoch oder deswegen den besten Riecher hatte, wenn es um die Verfolgung einer Spur ging. Manchmal schien er sich den Mörder bereits genau vorstellen zu können, auch wenn es noch kaum konkrete Anhaltspunkte gab – weshalb ein Satz seines Kollegen Rüdiger Törring über ihn zum geflügelten Wort wurde:
    Der Swoboda malt sich seine Täter.

    Bis spät in die Nacht hatte er im Altarraum der Aegidiuskirche an den Entwürfen für das Ostfenster gearbeitet, war gegen drei Uhr in sein Atelier gekommen und im Dunst von Ölfarben und Terpentin auf seinem Sofa eingeschlafen.
    Als sein ehemaliger Assistent Törring, zwanzig Jahre jünger als er, überzeugter Junggeselle und seit einem Jahr selbst Hauptkommissar, ihn mit einem Anruf weckte, reagierte er unwirsch, und Törring verwandte etliche beschwichtigende Sätze darauf, seinen einstigen Chef zugleich wach zu reden und milde zu stimmen.
    Schließlich raunzte Swoboda: Also, was ist, Turbo?
    Dass der Maler ihn bei seinem Spitznamen im Kommissariat nannte, ermutigte Törring. Er berichtete von dem blutigen Herzen in der Aegidiuskirche.
    Alles spricht dafür, dass es das Herz der Paintnertochter ist. Sie wird jetzt schon fünf Tage vermisst. Iris Paintner ist vierundzwanzig. Wir haben noch keine DNA. Und keiner traut sich, von der Familie irgendwas von ihr zu erbitten. Wenn wir nach ihrer Zahnbürste fragen, wissen die Paintners doch sofort Bescheid. Das Herz würde zu einer jungen Frau passen. Es ist irgendwie frisch gehalten worden, die Bestie hat sich Zeit gelassen.
    Die Bestie?
    Was soll ich sonst sagen?
    Swoboda kannte die Tochter von Martin Paintner vom Sehen: groß, schlank, kurz gelockte blonde Haare. Er wusste, dass sie die Firma übernehmen sollte. Zu keiner der reichen Familien in Zungen hatte er freundschaftliche Beziehungen, aber er konnte nicht verhindern, dass in ihm das Bild der Leiche mit geöffnetem Brustkorb entstand. Er versuchte, Törring und sich selbst abzulenken.
    Sicher kein Schweineherz?
    Hältst du uns für Idioten?
    Entschuldige. Deine Bestie wird ein durchgeknallter Typ sein, den euch am Ende die Psychogutachter aus den Fängen reißen.
    Törring schwieg. Er hoffte, dass Swobodas Polizistengehirn zu arbeiten begonnen hatte. Er täuschte sich nicht, doch sein einstiger Chef gab es nicht zu.
    Ihr macht das schon. Ich habe nichts mehr damit zu tun.
    Törring entschloss sich zu härterer Gangart: Du hast einen Schlüssel zur Sakristei, du arbeitest an dem einen Fenster neben dem Altar.
    Ja. – Und?
    Man hat nachts noch Licht gesehen.
    Wann ich arbeite, geht niemanden was an.
    Das Herz muss irgendwann zwischen zwei und sechs Uhr an die Maria gehängt worden sein. Ein Fleischerhaken.
    Alexander Swoboda wusste, dass die darin verborgene Frage nach seinem Alibi lächerlich war. Er hatte den Auftrag des Bischofs zur Neugestaltung des Kirchenfensters nach langem Zögern vor einem halben Jahr angenommen, arbeitete am Tag mit Farbmustern und hatte in der letzten Nacht seine Papierentwürfe mit den Fenstermaßen abgeglichen.
    Hör zu, Turbo. Ich arbeite am östlichen Altarfenster mit dem Thema Auferstehung. Nicht Hinrichtung. Nicht Leichenzerstückelung. Ich brauche Tageslicht für die Farbbestimmung und Innenlicht für die Vermessung. Kapiert? Und jetzt mach deinen Job und lass mich in Ruhe. Ich hab dich lang genug ausgebildet.
    Er legte auf. Aber im Kopf verlosch das Bild der jungen Toten nicht, der ihr Mörder das Herz aus der Brusthöhle geschnitten hatte. Wie fast bei jedem Fall in den zurückliegenden Jahren war es Mitleid, das andere unprofessionell genannt hätten, ihn aber antrieb, den Täter zu ermitteln. Manchmal war er aus Wut zum manischen Verfolger geworden. Er hatte sich angewöhnt, konzentrische Kreise um das Opfer zu legen, und immer war er auf einer dieser Bahnen dem Täter begegnet. Einige Male lange vor der Aufklärung, ohne den Zusammenhang schon zu erkennen.
    Der Maler Swoboda versuchte, die Erinnerung an seine fünfunddreißig Berufsjahre als Kommissar wegzuwischen. Es gelang ihm nicht. Mit
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