Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein ist der Tod

Mein ist der Tod

Titel: Mein ist der Tod
Autoren: Gert Heidenreich
Vom Netzwerk:
gelegentlich auch Aale und Hechte, selten Welse gefangen. Dann waren die Bestände zurückgegangen, die Fänge lohnten kaum noch, auch weil in den Neldaauen mehr und mehr Rotmilane nisteten und sich ihre Beute im Flug von der Wasseroberfläche griffen. Das Fischergewerbe in Zungen ging in die Hände von Angelsportlern über. Sie schossen heimlich mit Luftgewehren auf die geschützten Milane und versprachen sich von der städtischen Planung einen neuen Steg.
    Bisher war davon nichts verwirklicht. Die leeren, windschiefen und zugigen Hütten hatten ab und an Landstreicher zu Gast, auf ihren Bänken vor der Flussseite ruhte sich manchmal ein Jogger aus, und sehr alte Leute in Zungen deuteten an, schreckliche Dinge hätten sich dort abgespielt, wollten aber nicht sagen, was sie meinten.

    Zwei Tage nach dem blutigen Herzfund in der St. Aegidiuskirche – die Stadt hatte sich von dem Entsetzen noch nicht erholt – wurde unter dem Bretterfußboden des leer stehenden Fischerhauses An der Floßlände 5 zufällig das Skelett eines Mordopfers entdeckt, das offenbar schon Jahrzehnte dort gelegen hatte.
    Ohne den politischen Protest gegen die Schleifung der Fischerhäuser wären die Gebeine wahrscheinlich später im Abraum untergegangen, und der Stadt wäre die Geschichte dieses Toten erspart geblieben. Es war auch die Geschichte ehrenwerter Bürger, deren Namen in Zungen an der Nelda guten Klang hatten. Und es war die Liebesgeschichte einer Frau, die der Skelettfund von ihren lebenslangen Zweifeln erlöste.
    Vermutlich hatte, wer immer für den Mord verantwortlich war, darauf gehofft, dass die Knochen des Toten sich eines Tages in einer Baggerschaufel mit dem Häuserschutt mischen und später in irgendeiner Grube verschwinden würden.
    Doch die Bewohner der Nummern 4 und 7 verteidigten, seit die Firma Paintner Anspruch auf das Gelände erhob, ihre Häuser mit passivem Widerstand: Aus Nummer 4 zogen drei Studenten der Zungener Bildhauerschule trotz Räumungsklage und Erzwingungsankündigung nicht aus, und in Nummer 7 widersetzte sich der zweiundachtzigjährige Sepp Straubert, der nicht mehr zum Fischen ausfuhr, nur sonntags noch an der Nelda seine Angel auswarf, hartnäckig der Kündigung. Von seiner Rente überwies er der Stadt die symbolische Miete, die Anfang der Fünfzigerjahre der damalige Bürgermeister mit ihm vertraglich vereinbart hatte. Mündlich war ihm lebenslanges Wohnrecht zugesichert worden. Wer konnte auch seinerzeit ahnen, dass der feuchte Streifen Uferland einmal lukrativ werden würde.
    Die Öffentlichkeit nahm an dem schwelenden Konflikt kaum Anteil, bis an jenem Freitag, an dem Verena Züllich auf dem Kranzplatz das Wunder der blutenden Maria verkündete, vor der unteren Floßlände zwei Schaufelbagger von Tiefladern abgelassen wurden. In einer halben Stunde rissen sie das Fischerhaus Nummer 8 nieder und schoben es zu einem Haufen Schutt, Bretter und Ziegel zusam- men.
    Straubert stand vor dem Nachbarhaus und brüllte auf die Maschinen ein. Seine Beschimpfungen waren sämtlich justiziabel, im Lärm jedoch kaum vernehmbar. Er weinte vor Wut, auf seinem hochroten Gesicht glänzten Tränen. Plötzlich schwankte er, reckte die Arme nach oben und griff ins Leere.
    Zwei der Studenten aus Nummer 4 kamen gerade rechtzeitig hinzu, um den schweren Mann aufzufangen. Sie legten ihn vor die Holzstufen zu seinem Fischerhaus, einer rief mit seinem Mobiltelefon den Notarzt, der andere fotografierte die Baggerfahrer. Die sahen wenig später auf Facebook in ihrer Berufskleidung – Helm, Schutzbrille, Ohrenschützer und weiße Staubmaske – wie außerirdische Monster aus.
    Die Studenten twitterten an Freunde und Freundesfreunde die Nachricht: Der Rentner Sepp Straubert, den sie liebenswerter schilderten, als er gewesen war, sei an der Zungener Floßlände von skrupellosen Spekulanten so bedroht worden, dass er einen Herzinfarkt erlitten habe.
    Eindringlich forderten sie zur Verteidigung der Häuser auf. Protestbereite Menschen reisten innerhalb weniger Stunden an und besetzten, von wütendem Pazifismus beseelt, zahlreich die Floßlände. Die Baggerfahrer parkten ihre Geräte einige Hundert Meter seitab und suchten das Weite.
    Aus Erfahrung auf einen längeren Kampf eingestellt, hatten die meisten Demonstranten ihre Zeltausrüstung mitgebracht. Wohnmobile bildeten hinter den Fischerhäusern einen Wagenwall gegen die Zufahrtstraße.
    Am Sonntag war die Menge so angewachsen, dass es Probleme mit den Latrinen im Hof der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher