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Mein ist der Tod

Mein ist der Tod

Titel: Mein ist der Tod
Autoren: Gert Heidenreich
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jedem Abwehrreflex geriet er tiefer in seine Gedanken. Törring wusste das. Swoboda wusste es. Hatte man ihm einen rätselhaften Mordfall unterbreitet, arbeitete sein Gehirn unabhängig von seinem Willen weiter. Wie ein französischer Kollege, ein Commissaire Lecouteux, mit dem er einmal auf einen Fall in der Normandie angesetzt war, in seinem elsässischen Deutsch gesagt hatte: Wir bleiben immer Bullen, Swoboda, egal, wo wir sind, egal, was wir tun, egal, wie alt wir sind.
    Als Swoboda gegen das Wort Bulle protestierte, hatte der Kollege entgegnet: Aber das sind wir doch! Meine Frau nennt mich auch Bulle, ich mag das. Schließlich sind wir keine Schafe.
    Und Swoboda hatte geantwortet: Hoffentlich.
    Jetzt verwünschte er den Commissaire, er verwünschte Törring und sich selbst, ging zum Sofa, legte sich hin und zog sich die Decke über den Kopf. Er spürte ein leises Schwanken unter sich, als läge er in einem Boot. Gleichzeitig begann das Pfeifen in seinem rechten Ohr, das er kannte. Es würde sich bis zum Hörsturz steigern.
    Der Anfall war leicht. Nach einer Viertelstunde legten sich Schwindelgefühl und Übelkeit, er stand auf, duschte, zog sich an, aß einen Joghurt, trank einen Espresso, nahm ein 500er-Aspirin und machte sich auf den Weg zur Aegidiuskirche.

TAGEBUCH

    Ich lebe seit 12743 Tagen. Wer immer einst meine Aufzeichnungen lesen wird: Er soll wissen, dass ich mich bemüht habe, uns alle vor ihr zu retten.
    Darum habe ich die Bestie zwei Mal umgebracht.
    Nach ihrem ersten Tod ist sie auferstanden, obwohl ich ihren Kopf in ein Grab neben die Gebeine eines armen Teufels gelegt hatte, der ihr den Weg nach unten zeigen konnte! Ich hatte dem Kopf dieser Schlange sogar ein Schiffchen mitgegeben, das ihn über den Totenfluss bringen sollte. Dennoch kam sie zurück. Ihren amüsierten Blick, als ich mein Schwert hob, fand ich empörend. Ihr Kopf lag schon vor ihren Füßen und verstand immer noch nicht, was geschehen war. Hatte er aus dem ersten Mal nichts gelernt?
    Ist sie ohne Erinnerung wiedergeboren worden? Hat sie mich deshalb nicht erkannt, als ich die Kapuze zurückstreifte und ihr als Letztes in ihrem Leben mein Gesicht zeigte?
    Nach ihrem zweiten Tod am Ufer der Nelda habe ich ihr Herz von ihrem Körper entfernt. Damit er es sich nicht wieder einverleiben kann, habe ich es der Muttergottes zur Aufbewahrung übergeben.
    Als ich sah, wie sich die Anbeter in der Kirche zu dem toten Muskel drängten, als wäre das Schlangenherz das der gnadenreichen Maria, da spürte ich wieder meinen ungeheuren Ekel vor den Menschen.

II

    Der zweite Schrei

    VON DEN ACHT FISCHERHÄUSERN am linken Ufer der Mühr waren zwei noch bewohnt, und auch sie schienen von den fast zwei Jahrhunderten, die sie am Rand des Flusses gestanden hatten, erschöpft zu sein.
    Schon lange hatte sich niemand mehr aufgerafft, die Balkone, Läden und Fensterrahmen mit einem neuen Anstrich zu versehen oder schadhaftes Gebälk auszutauschen. Die Holzhäuser gehörten der Stadt, und die ließ sie verfallen. Die Bootsstege waren bis auf einen ins Wasser gesunken, in den grauen Fassaden gab es keinen rechten Winkel mehr. Die Neigung der Giebel zum Fluss, ihre unübersehbare Ermüdung forderten den Abriss geradezu heraus.
    Seit Jahren bestand der Plan, an dieser Stelle ein Freizeitgelände zu errichten, das Tagestouristen und Camper anlocken, der Zungener Jugend als Spielgelände dienen und nicht zuletzt der städtischen Verwaltung Pachteinnahmen in die Kasse tragen sollte. Unter den drei Geldmächtigen der Stadt, der Brauerei Sinzinger (Zickerpils, Zickerdunkel, Zickerbock, Zickerweisse) , dem Fleischgroßbetrieb und Konservenhersteller Ungureith (Fleisch und Wild von Ungureith: Hochgenuss und Haltbarkeit) und dem Holzhandel Paintner (Holz ist unser Stolz) hatte Letzterer das höchste Gebot für den Uferstreifen und sein Hinterland abgegeben.
    An der Floßlände lautete die Adresse seit der ersten urkundlichen Eintragung der Fischerhäuser 1818, als die napoleonische Besetzung gerade zwei Jahre vorüber war.
    Fast eineinhalb Jahrhunderte, und noch am Anfang der Dunklen Zeit, wie man in Zungen die Herrschaft der Verbrecher in den zehn Jahren nach 1935 zu nennen pflegte, waren die Häuser bewohnt gewesen. Doch als die Fischer im Krieg waren, wollten ihre Frauen mit den Kindern lieber in der Stadt leben.
    In den Fünfzigerjahren hatten wieder Fischerfamilien in den Häusern 2 und 3 gewohnt und mit Barben, Bachforellen und Barschen ihr Auskommen gehabt,
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