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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck
Autoren: Werner Spies
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Exil optiert. Im Gespräch mit ihm ging es kaum anders zu als in seinen Stücken. Ein Paradox jagte das andere. Das war eine unwiderstehliche, völlig neue Erfahrung. Sich gewissermaßen syntaktisch dumm zu stellen war eine lohnende Taktik. So wenn er Monique, meiner dunkelhaarigen Frau, die er, das ließ sich nicht übersehen, überaus gerne hatte, allen Ernstes klarmachte, sie habe etwas typisch Finnisches an sich. Es durfte da keinen Widerspruch geben. Die winzige Rodica, die mit ihrem verschrumpelten Gesicht an eine Eskimofrau erinnerte, nickte zu dem, was ihr Mann sagte, anerkennend wie eine Komparsin auf der Bühne. Ionesco stand dabei auf eine Weise am Tisch, die das, was er sagte, seltsam zu pointieren vermochte.
    Noch nie hatte ich zuvor einen Menschen auf diese Weise stehen sehen, gewissermaßen unscharf, als sei er aus der eigenen Silhouette herausgerutscht. Der Körper bildete einen seltsamen Hiatus zu dem, was er sagte. Er legte schon beim ersten Treffen Wert darauf, dass er, soweit es ihn angehe, den Begriff »absurdes Theater« zurückweise, und er präzisierte: »Mein Theater ist ein Theater, das das Absurde denunziert. Ich suche Möglichkeiten, das Absurde zu überwinden, und zwar durch das Lachen. Ich wollte gerne, es gäbe eine Gesellschaft von Leuten, die das Lachen pflegen. Lachen ist Kritik. Wo es kein Lachen gibt, gibt es auch keine Klarheit. Welt ohne Lachen ist ein Konzentrationslager. Ich ahne eine Möglichkeit. Wenn man lacht, urteilt man nicht mehr, man ist sich selbst gegenüber frei.« Die Verabredungen mit Ionesco gehörten für mich, noch Jahre bevor ich Max Ernst kennenlernte, zu den Begegnungen mit dem, was in den frühen sechziger Jahren in Paris überhaupt noch vom Surrealismus aufzuspüren war. Er sprach gerne über seine Absichten und antwortete selbstbewusst: »Die zukünftige Form? Ich bin einer von denen, die sie suchen.« Wir trafen uns seit 1961. Zu Beginn war er eher nervös und unzufrieden. Er könne nicht mehr schreiben, er sei wie gelähmt, alle Arbeit gehe nur langsam voran. Dann ging es wieder. Er habe eine Lösung gefunden, er nehme Beruhigungsmittel. Er könne ein Stück, Le piéton de l’air , fertigstellen, das in Paris und bei Stroux in Düsseldorf erstmals aufgeführt werden solle. Es gehe von einer Erzählung aus. Auf meine Frage, ob er diese Art zu schreiben vorziehe, meinte er, es sei einfacher, ein Stück nach einem Plan zu erarbeiten. Doch befriedige ihn das Ergebnis nicht so sehr. Die ihm angemessene Weise sei diejenige, die er anfangs angewandt habe: von einer Replik, einer Situation auszugehen. Die ideale Dauer seiner Stücke liege zwischen einer Stunde und fünf Viertelstunden. Er begründete diese Vorliebe für das kurze Theater. Er habe als Rumäne einen »esprit méditerranéen«, einen mediterranen Geist, der das Konzise, Klare, schlagartig Beginnende, abrupt sich Steigernde und unvermittelt Abbrechende liebe. Dabei zeigte er eine Verachtung gegen das Engagement seiner, wie er meinte, pädagogischen Kollegen. Er verwarf sie in Bausch und Bogen. Auf Brecht durfte man erst gar nicht zu sprechen kommen. Dazu sagt er: »Ich glaube, dass ich Brecht besser verstehe als die anderen. Er hat eine außerordentliche Verachtung für den Menschen. Er glaubt nicht an die Liebe – das Einzige, was es bei ihm gibt, ist eine Art von Waffenbrüderschaft. Er ist der grässlichste und der pessimistischste Autor. Sein Menschenbild ist ebenso von Verachtung erfüllt wie das Stalins. Es ist merkwürdig, dass sich seine Verehrer vor allem unter der Bourgeoisie finden. Das kommt daher, dass sie ihn nicht verstehen. Es sind linksintellektuelle Bürger, die in den Pariser feinen Gegenden leben.« Diese Attacke ritt er vor mir in dem Jahr, da er selbst zwei Einakter vorbereitete.

    Eugène Ionesco und Werner Spies

    Mit der Ablehnung Brechts stand Ionesco damals nicht allein. Antoine Bourseillers Erstaufführung von Im Dickicht der Städte brachte den damals einflussreichsten Kritiker, Jean-Jacques Gautier, dermaßen auf die Palme, dass er im Figaro die »feuilletonistische Hysterie« von Brecht anprangerte, die mit dem Dialog Besoffener eine ganze Spielzeit verderbe. Ionesco fügte in seiner Diatribe, in die er auch die Nacheiferer Brechts einschloss, erregt hinzu: »Der schädlichste unter ihnen ist Adamov.« Man versteht, dass damals ein kleines Bonmot im Quartier Latin zirkulierte. Robbe-Grillet trifft Ionesco und begrüßt ihn mit »Bonjour Adamov«. Doch dieser pariert
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