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Mein fremder Bruder

Mein fremder Bruder

Titel: Mein fremder Bruder
Autoren: Tahmima Anam
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Achseln. Dann lachte er sie wieder mit offenem Mund aus. »Aber du kannst sowieso nicht mit ihm reden. Männer und Frauen sind getrennt, weißt du doch.«
    »Das stört mich nicht. Ist er da?«
    Der Junge stellte den Wassereimer ab. »Nein, er ist weg. Hast du die Frauen aus Frankreich gesehen?« fragte er.
    »Ja.«
    »Letzten Monat war die russische Jamaat da. Ich kann auf russisch reden.«
    »Was kannst du denn sagen?«
    Er sprudelte ein paar ausländisch klingende Worte hervor.
    »Und was heißt das?«
    »Frieden«, sagte er, beugte die Knie und sprang in die Höhe,»Frieden Shanti Frieden. Auf spanisch kann ich das auch.« Und er gab einen weiteren Schwall unverständlicher Worte zum besten.
    »Hast du denn ein Buch?«
    Er schaukelte auf den Hacken vor und zurück. »Keine Bücher. Nur meinen Kopf«, sagte er und tippte sich mit dem Finger an die Schläfe.
    »Ich muß jetzt los«, sagte Maya.
    »Goodbye. Khodahafez. Au revoir!« schrie er. Die Französinnen mußten schon einmal zu Besuch gewesen sein. Er zog eine plattgedrückte Samosa aus der Hosentasche. »Da, für dich«, sagte er.
    »Nein, die mußt du selbst essen. Ich habe keinen Hunger.«
    Er biß eine Ecke des fritierten, pyramidenförmigen Gebäcks ab. »Okay, tschüs, bye-bye.«

    Ammu war in der Küche. Die Hausangestellte, die seit mehreren Jahren bei Rehana arbeitete, stand an der Spüle und wusch die Töpfe vom gestrigen Abendessen.
    »Maya, das ist Sufia.« Die Frau, die Maya um einen halben Kopf überragte, trat auf sie zu, lächelte und legte ihr eine große Hand auf die Schulter.
    »Ich habe viel von Ihnen gehört«, sagte Sufia. Sie musterte sie von Kopf bis Fuß. Maya konnte ihr förmlich vom Gesicht ablesen, was sie dachte: Das ist also die verlorene Tochter, die nicht nach Hause kommen wollte. Sieht aus wie eine Bäuerin. Ein billiger, noch nicht mal gestärkter Salwar Kamiz. Lange Haare, ja, aber diese Haut: Ganz braun und verbrannt von der Sonne. Sufia lächelte weiter und tätschelte ihr die Schulter.
    »Ich war joggen«, sagte Maya. »Ich war auf dem Friedhof.«
    Ammu nickte. Dann kam sie auf Maya zu und streichelte ihr über die Wange. »Das freut mich sehr.«
    Auch Maya freute sich. Die Wärme des Gefühls durchströmte sie. Sie wollte es aussprechen, wollte ihrer Mutter sagen, daß sie jetzt wieder da war und nie mehr weggehen würde, brachte aberkein Wort über die Lippen. Es wäre nicht wahr. Als Ammu die Samosas aus der Bratpfanne holte, dachte sie an Nazias Kinder, wie sie immer das bißchen Geld aufgespart hatten, das sie zum Id geschenkt bekamen, um sich damit in der Stadt eine Samosa zu kaufen, eine zu zweit, und sich dann stritten, wer die größere Hälfte abbekommen hatte.
    »Wo ist Sohail?«
    »Er war heute morgen bei mir«, antwortete Ammu. »Er läßt dir liebe Grüße ausrichten.«
    Liebe Grüße? Hatte er sich wirklich so ausgedrückt? »Hat er gesagt, wann er zurückkommt?«
    »Erst in ein paar Wochen.«
    Sufia fing an, mit einem schweren Stein, der wie ein Nudelholz aussah, Gelbwurz zu mahlen. Sie rollte den Stein immer wieder über die Kurkumawurzel, bis eine faserige Paste entstand, dann rollte sie immer weiter darüber, bis sie die Farbe zerquetschter Studentenblumen angenommen hatte. »Immer kommt und geht er«, sagte sie, häufte das Kurkuma auf ein Tellerchen und wiederholte den Vorgang mit einer Handvoll Knoblauchzehen.
    »Da oben geht’s zu wie bei den Vereinten Nationen. Die sprechen noch nicht mal Bengali da.«
    »Die kommen aus aller Welt«, sagte Ammu und goß etwas Öl in die Pfanne nach.
    »Alles nur wegen Sohail und Silvi?«
    »So wird das in ihrer Gemeinschaft gemacht – sie reisen als Missionare von einem Land ins nächste.«
    Als Kind hatte Sohail eine katholische Jesuitenschule besucht, St. Gregory. Am Spieletag hatte Maya ihn einmal dort besucht. Die Patres hatten lange Leinenkutten angehabt, mit einer Kordel um den Bauch. Die Kinder spielten Eierlaufen. Das waren die Bilder, die sie im Kopf hatte, wenn Ammu von Missionaren sprach, nicht die nach Zimt duftenden Frauen oben.
    Ammu hob etwas Fritiertes aus dem Fett. »Magst du eine Samosa?«
    Plötzlich blitzte ein Gedanke in Mayas Kopf auf. Graue Augen. Ungefähr das richtige Alter. »War das Sohails Sohn, den ich gerade auf der Treppe getroffen habe?«
    »Wenn er einen Eimer geschleppt hat, dann war er es«, antwortete Sufia, die sich als nächstes einem Haufen Zwiebeln mit violetten Häuten zuwandte.
    »Aber er sieht aus wie … Ammu, hast du
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