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Mein erfundenes Land

Mein erfundenes Land

Titel: Mein erfundenes Land
Autoren: Isabel Allende
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Kopfstieß, bis mir klar wurde, daß die meisten eigentlich sehr zuvorkommend und höflich sind. Ich konnte nicht fassen, wie hedonistisch sie sind, doch irgendwann ließ ich mich von meiner Umgebung anstecken und fand mich in einem Whirlpool wieder, wo ich mich im Schein von Duftkerzen rekelte, unterdessen sich mein Großvater ob solcher Zügellosigkeit im Grab herumdrehte. Ich habe mich so gut in die kalifornische Kultur eingefügt, daß ich meditiere und zur Therapie gehe, auch wenn ich dabei immer schummle: Während der Meditation denke ich mir Geschichten aus, um mich nicht zu langweilen, und während der Therapie denke ich mir Geschichten aus, um den Therapeuten nicht zu langweilen. Ich habe mich auf den Rhythmus dieses außergewöhnlichen Fleckchens Erde eingestellt, habe meine Lieblingsplätze, an denen ich meine Zeit mit dem Stöbern in Büchern, mit Spaziergängen oder Gesprächen unter Freunden vertändle; ich mag meine Alltagsroutine, die Jahreszeiten, die dicken Eichen rund um unser Haus, den Duft meiner Tasse Tee, die lange nächtliche Klage des Horns, das die Schiffe in der Bucht vor dem Nebel warnt. Ich warte mit Ungeduld auf den Truthahn zu Thanksgiving und auf den kitschigen Glanz von X-mas. Ich nehme sogar an dem obligatorischen Picknick zum 4. Juli teil. Apropos, dieses Picknick ist überaus effizient, wie alles hier: schnell hinfahren, den vorher reservierten Platz besetzen, die Körbe auspacken, das Essen hinunterschlingen, gegen den Ball treten und dann schleunigst heim, bevor die Straßen verstopft sind. In Chile würden wir für ein solches Unternehmen drei Tage veranschlagen.
    Das Zeitempfinden der Nordamerikaner ist überhaupt sehr eigen: Geduld ist für sie ein Fremdwort; alles muß schnell gehen, sogar die Mahlzeiten und der Sex, die im Rest der Welt mit Muße zelebriert werden. Nicht von ungefähr haben die Gringos die beiden unübersetzbaren Ausdrücke Snack und Quickie erfunden für das Essen im Stehen unddie Liebe im Eiltempo… und häufig ebenfalls im Stehen. Die meistverkauften Bücher sind Ratgeber: Millionär werden in zehn einfachen Lektionen, fünfzehn Pfund abnehmen in einer Woche, Scheidung ohne Trauer usw. Die Leute sind ständig auf der Suche nach Abkürzungen und auf der Flucht vor allem, was als unerfreulich gilt: Häßlichkeit, Alter, Übergewicht, Krankheit, Geldmangel und jedwede Form des Scheiterns.
    Wie fasziniert dieses Volk von der Gewalt ist, schockiert mich noch heute. Man kann sagen, daß ich in ziemlich interessanten Verhältnissen gelebt habe: Ich habe Revolutionen gesehen, einen Bürgerkrieg und städtische Kriminalität, ganz zu schweigen von den Exzessen des Militärs in Chile. In unsere Wohnung in Caracas wurde siebzehnmal eingebrochen; uns wurde fast alles gestohlen, angefangen bei einem Dosenöffner bis hin zu den drei Autos, zwei auf der Straße und das dritte, nachdem das Garagentor aufgebrochen worden war. Zum Glück führte keiner der Einbrecher Böses im Schilde, einmal fanden wir sogar einen Zettel mit einem Dankeschön an der Kühlschranktür. Verglichen mit anderen Orten der Erde, wo ein Kind auf dem Weg zur Schule auf eine Mine treten und beide Beine verlieren kann, lebt es sich in den USA so sicher wie in einem Kloster, aber die Kultur ist süchtig nach Gewalt. Das zeigt sich im Sport, bei Spielen, in der Kunst, nicht zu reden vom Kino, das grauenvoll ist. In ihrem Leben wollen die US-Amerikaner keine Gewalt haben, aber sie brauchen sie aus der Konserve. Sie sind begeistert vom Krieg, solange er nicht bei ihnen zu Hause stattfindet.
    Der Rassismus schockierte mich dagegen nie, obwohl Willie sagt, er sei das gravierendste Problem der USA, aber ich habe fünfundvierzig Jahre das lateinamerikanische Klassensystem ertragen, durch das die Armen, die Indianer, Schwarzen und Mestizen gnadenlos und mit der größten Selbstverständlichkeit ausgegrenzt werden. In den USA istman sich des Problems zumindest bewußt, und die meisten Leute bemühen sich, wenigstens die meiste Zeit, gegen den Rassismus anzugehen.
    Wenn Willie Chile besucht, wird er von meinen Freunden und von den Kindern auf der Straße neugierig beäugt, weil man ihm den Ausländer zweifelsfrei ansieht, was er noch mit seinem Rancherhut und den Cowboystiefeln unterstreicht. Er mag mein Land, er sagt, es erinnere ihn an Kalifornien vor vierzig Jahren, aber er fühlt sich dort so fremd wie ich mich in den USA. Ich verstehe die Sprache, kenne aber die Codes nicht. Wenn wir uns mit Freunden
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