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Mein erfundenes Land

Mein erfundenes Land

Titel: Mein erfundenes Land
Autoren: Isabel Allende
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treffen, kann ich nur wenig zur Unterhaltung beitragen, weil mir die Ereignisse oder die Leute, über die gesprochen wird, nichts sagen. Ich habe in meiner Jugend nicht dieselben Filme gesehen, mich nicht zu Elvis’ ausgeflippter Gitarre gewunden, kein Marihuana geraucht und nicht gegen den Vietnamkrieg demonstriert. Ich verfolge den politischen Klatsch nicht, weil ich kaum einen Unterschied zwischen Demokraten und Republikanern sehe. Wie fremdartig ich bin, erkennt man schon daran, daß ich nicht wie das ganze Land die amouröse Affäre von Präsident Clinton verfolgte, denn mein Interesse erlahmte, nachdem ich Fräulein Lewinskys Höschen vierzehnmal im Fernsehen gesehen hatte. Selbst Baseball ist mir ein Rätsel geblieben; wie kann man sich derart für einen Haufen dicker Kerle begeistern, die auf einen Ball warten, der nie kommt? Ich falle sozial aus dem Rahmen, trage Seide, wenn alle Welt in Jogginghosen rumläuft, und bestelle ein Steak, wenn gerade Tofu und grüner Tee en vogue sind.
    Am meisten schätze ich an meinem Status als Immigrantin das herrliche Gefühl, frei zu sein. Ich komme aus einer traditionellen Kultur, aus einer geschlossenen Gesellschaft, in der jeder von Geburt an die Geschichte seiner Altvorderen mit sich herumschleppt und man sich immer beobachtet, beurteilt, überwacht fühlt. Die einmal befleckte Ehre ist nie wieder reinzuwaschen. Wenn ein Kind im KindergartenBuntstifte klaut, ist es für den Rest seines Lebens als Dieb abgestempelt, dagegen spielt in den USA die Vergangenheit keine Rolle, niemand fragt nach dem Familiennamen, der Sohn eines Mörders kann Präsident werden… sofern er weiß ist. Man darf Fehler machen, weil es neue Chancen im Überfluß gibt; es reicht, wenn man den Staat wechselt und sich einen anderen Namen zulegt, und schon kann man ein neues Leben beginnen; das Land ist so weit, daß die Wege niemals enden.
    Dazu verurteilt, mit mir zusammenzuleben, fühlte sich Willie mit meinen chilenischen Vorstellungen und Gewohnheiten am Anfang so unwohl wie ich mich mit den seinen. Es gab größere Probleme, etwa, daß ich seinen Kindern meine antiquierten Regeln des Zusammenlebens aufzwingen wollte und er keinen Schimmer von Romantik hatte; und es gab kleinere Probleme, etwa, daß ich unfähig bin, elektrische Küchengeräte zu benutzen, und er schnarcht. Aber nach und nach haben wir sie überwunden. Vielleicht geht es bei einer Ehe einzig und allein darum: flexibel zu sein. In den USA habe ich versucht, mir die chilenischen Tugenden zu bewahren, die ich mag, und die Vorurteile abzulegen, die mich in eine Zwangsjacke pressen. Ich habe dieses Land akzeptiert. Um einen Ort zu lieben, muß man an der Gemeinschaft teilhaben und etwas von dem vielen zurückgeben, das man bekommt; ich glaube, das habe ich getan. Es gibt vieles, was ich an den USA bewundere, und anderes, das ich gerne ändern würde, aber ist das nicht immer so? Ein Land ist wie ein Ehemann stets verbesserungswürdig.
    Ich lebte seit einem Jahr in Kalifornien, als sich 1988 die Lage in Chile änderte, weil Pinochet die Volksabstimmung verlor und das Land sich anschickte, die Demokratie wiederherzustellen. Da kehrte ich zurück. Ich fürchtete mich, weil ich nicht wußte, was mich erwartete, und erkannte Santiago und seine Menschen kaum wieder. Alles war andersgeworden in diesen Jahren. Grünanlagen und schicke Gebäude, Verkehrschaos und Kommerz, die Stadt war energiegeladen, temporeich, auf der Jagd nach dem Neuen; aber es gab auch feudale Überbleibsel, Hausmädchen in blauen Schürzen, die in den Reichenvierteln mit alten Leuten spazierengingen, und Bettler an jeder Ampel. Die Chilenen waren vorsichtig, respektierten die Hierarchien und kleideten sich sehr konservativ, die Männer trugen Krawatten, die Frauen Röcke, und in vielen Ämtern und privaten Unternehmen waren die Angestellten uniformiert wie Flugbegleiter. Ich mußte feststellen, daß viele, die in Chile geblieben waren und es schwer gehabt hatten, uns andere als Verräter betrachten und meinen, das Leben außerhalb des Landes sei leichter gewesen. Andererseits fehlt es nicht an Exil-Chilenen, die den Daheimgebliebenen vorwerfen, sie hätten mit der Diktatur kollaboriert.
    Der Kandidat der Concertación, Patricio Aylwin, hatte die Wahl knapp gewonnen, das Militär war jedoch weiterhin drückend präsent, und die Leute hatten Angst. Die Presse wurde noch zensiert. Daran gewöhnt, auf der Hut zu sein, stellten mir die Journalisten in ihren Interviews
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