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Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern

Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern

Titel: Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern
Autoren: Margot Kaessmann
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diesen Punkt, an dem für ihn klar war: „Doch, das ist meine Position! Ich bin mit mir innerlich im Reinen.“
    Das ist Freiheit, denke ich. Und es ist eine Freiheit, von der Christinnen und Christen heute konfessionsübergreifend wissen.
    Luthers Freiheitsgedanke
    Der Gedanke der Freiheit war und ist für die Kirche der Reformation von zentraler Bedeutung. In seinem Text „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ hat Martin Luther das auf bis heute bemerkenswerte und anregende Weise in einem unübertroffenen Textdokument ausgeführt. Es gibt diese Schrift in zwei Fassungen: Eine ist auf Deutsch geschrieben und bis heute eindrücklich klar und direkt. Die lateinische Fassung wirkt komplizierter. Mit ihr sollte Luther auf Bitten von Karl von Miltitz, dem sächsischen Kammerjunker des Papstes, auf die Bannandrohungsbulle aus Rom reagieren und dezidiert rechtfertigen, dass er auf dem Boden des Glaubens seiner Kirche steht.
    Der Konflikt eskalierte und es kam zu jener Konfrontation auf dem Reichstag in Worms. Am 18. April 1521 stellte sich Martin Luther mit seiner im Bibelstudium gefundenen Glaubens- und Gewissensfreiheit auf dem Reichstag zu Worms in Widerspruch zu Kaiser und Papst und verteidigte seine Schriften. Seine Rede beendete er mit den Worten: „Wenn ich nicht durch Schriftzeugnisse oder einen klaren Grund widerlegt werde – denn allein dem Papst oder den Konzilien glaube ich nicht; es steht fest, dass sie häufig geirrt und sich auch selbst widersprochen haben –, so bin ich durch die von mir angeführten Schriftworte überwunden. Und da mein Gewissen in den Worten Gottes gefangen ist, kann und will ich nichts widerrufen, weil es gefährlich und unmöglich ist, etwas gegen das Gewissen zu tun. Gott helfe mir. Amen.“ 12
    Mir ist sehr wohl bewusst, dass Martin Luther viele Facetten hatte, dass seine Äußerungen über Juden ein fataler Irrweg waren 13 , er die Bauern auf schreckliche Weise verraten, eine sogenannte Hexenverbrennung befürwortet und die Täufer verachtet, ja, zu ihrer Verfolgung beigetragen hat. Aber jene innere Haltung, dieser Mut, aufzustehen, sich aufzubäumen, anderer Meinung zu sein, den bewundere ich zutiefst. Es hätte ihn das Leben kosten können – das Risiko ist er eingegangen, weil sein Gewissen ihn dazu bewegt hat. Wo regt sich mein Gewissen? Was kann ich verantworten in meinem Leben, Reden, Handeln? Wann muss ich mich einmischen und darf nicht länger schweigen? Wer verantwortlich leben will, wird sich diese Fragen immer wieder stellen und bei der Auseinandersetzung mit den alten, überlieferten Glaubenserfahrungen und im Gespräch mit anderen Antworten und auch eine Freiheit zum Handeln finden.
    „Ich stehe hier, ich kann nicht anders, Gott helfe mir. Amen.“ – Das ist eine Haltung aus der Freiheit eines Christenmenschen heraus. Und genau diese hat bis heute nichts von ihrer Aktualität, von ihrer Brisanz verloren. Mit ihr haben Christinnen und Christen aller Konfessionen in der Vergangenheit immer wieder angesichts von lebensfeindlichen Ideologien und brutaler Unterdrückung ihre innere Freiheit bewahrt. Manche wurden zu Märtyrern, weil sie aus Glaubensüberzeugung ihr Leben riskierten.
    Ich erinnere mich an einen Besuch in Südindien, wo mir der Pastor seine fünf (!) Kirchen zeigte, die er mit seinen Gemeinden baute. Er hatte Angst, denn diese Gotteshäuser waren nicht willkommen; die Gemeinden waren klein und furchtsam. Aber sie waren überzeugt: Wenn wir in einer Kirche zusammenkommen, Gottes Wort hören, miteinander singen und beten und lernen, als Gemeinde Christi zu leben, werden wir der Angst widerstehen und Sinn in unserem Leben finden. Das ist mutig. Viel mutiger, als ich es bin …
    Solche Freiheit berührt zuallererst Glaubensfragen. Das zu denken, war ein ungeheurer Durchbruch. Niemand kann mir sagen, was „richtiger“ Glaube ist, sondern ich selbst muss lesen, denken, fragen – das macht es manches Mal anstrengend, gewiss. Aber aus eben diesem eigenen Denken und Fragen, aus der Auseinandersetzung entsteht die Freiheit des Gewissens, die sich dann als verantwortliche Freiheit im persönlichen und öffentlichen Leben äußert. Wenn ich selbst eine Position errungen, vielleicht gar erlitten habe, dann finde ich auch den Mut, gegen Kritik und Anfechtung daran festzuhalten. Gerade deshalb ist beispielsweise kritische, ja, historisch-kritische Exegese kein Angstfaktor, sondern hilfreich. Ich darf verstehen wollen, sagt unser Glaube. Ich darf zweifeln und
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