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Meeresrauschen

Meeresrauschen

Titel: Meeresrauschen
Autoren: Patricia Schröder
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Moment ein Kalb zur Welt bringen könnte. Es würde ganz sicher nicht einfach sein, Gordians Existenz dauerhaft
vor ihr zu verbergen.
    Seufzend zerrte ich mir die verschwitzten Klamotten vom
Leib, warf sie in den Wäschekorb und begutachtete die seltsame
Wunde über meinem rechten Knöchel, die ich mir vor einiger
Zeit bei einem Unfall an einem Felsen zugezogen hatte. Sie war
gut verheilt, auch das lose Hautstück wuchs allmählich wieder
an, allerdings sah das Ganze nun ziemlich wulstig aus. Es wunderte
mich ein bisschen, dass Tante Grace mich gar nicht mehr
darauf angesprochen hatte. Immerhin hatte sie mich deswegen
vor einer Woche noch zum Arzt schleppen wollen. – Na ja, mir
sollte es nur recht sein. Ob und wann ich medizinische Hilfe
brauchte, konnte ich eigentlich ganz gut allein entscheiden. Im
Moment schien es mir jedenfalls nicht nötig zu sein.
    Ich gönnte mir eine kurze heiße Dusche, strich noch einmal
etwas von Mams Salbe auf die Hautwulst und fünf Minuten
später war ich bereits wieder fix und fertig angezogen. Hastig
band ich meine Haare im Nacken zusammen und ging ins
Zimmer zurück.
    Ruby stand am Fenster und sah aufs Meer hinaus. Der
Sturm hatte zugenommen und fegte die grauen Wolken inseleinwärts
über uns hinweg. Dicke Regentropfen prasselten
gegen die Scheiben.
    »Ist Ashton immer noch nicht da?«, fragte ich.
    »Nein.«
    »Machst du dir Sorgen? Ich meine, wegen des Wetters …«
    »Ich mache mir nie Sorgen um Ashton. Jedenfalls nicht so.«
    Ruby wandte sich mir zu und nickte. »Schon viel besser.«
    Ich lächelte matt. »Wo steckt er denn so lange?«
    Sie machte eine fahrige Geste.
    »Na ja, er hat eine Verabredung«, sagte sie schließlich.
    »Wie bitte?«
    »Nicht wie du jetzt vielleicht denkst«, erwiderte sie hastig.
»Kein Mädchen.« Sie druckste. Offenbar schien sie genauso
wenig über Ashton und seine
Verabredung
sprechen zu wollen,
wie ich noch weiter über Gordy reden mochte. »Er trifft sich
mit jemandem, um etwas herauszufinden«, fügte sie endlich
hinzu.
    »Aha …?« Ich horchte auf. »Ist sein Vater aus Leicester gekommen?
«
    Ruby schüttelte den Kopf. »Leider nicht.«
    »Hat es mit seinem Tourette-Syndrom zu tun?«, bohrte ich
weiter.
    »Nein.«
    Ruby richtete ihren Blick zu Boden. Es war ein eindeutiges
Signal, aber ich konnte jetzt nicht aufhören. Eine leise Ahnung
stieg in mir auf. Ich musste es einfach wissen.
    »Dann also mit mir? … Den Nixen …?« Ich musterte sie abwartend.
»Oder mit Lauren und Bethany?«
    Ruby drehte sich zum Fenster zurück. Sie konnte mir also
nicht in die Augen sehen.
    »Nicht direkt«, sagte sie leise.
    Das Herz schlug mir bis zum Hals. »Sag bitte nicht, mit
Cyril«, wisperte ich.
    Ruby schwieg.
    »Nach allem, was er mir angetan hat!«, stieß ich hervor.
    Ich trat hinter sie, fasste sie an den Schultern und zog sie
wieder zu mir herum.
    Ruby sah mich an. »Deshalb hat Ashton es ja auch übernommen.
«
    »Cyril wird sowieso nichts erzählen«, knurrte ich.
    »Ashton vielleicht schon.«
    Warum ausgerechnet ihm?, lag es mir auf der Zunge zu sagen,
aber ich kannte die Antwort, also schluckte ich die Frage hinunter
und ließ mich auf das Sofa zurückfallen. Die Verbindung
zwischen Ashton und Cyril bestand darin, dass sie beide
Außenseiter waren – wenn auch aus völlig unterschiedlichen
Gründen.
    »Es ist mir egal, wer er ist und was er weiß«, sagte ich hart.
    »Das könnte ein Fehler sein.« Ruby hatte leise gesprochen.
So leise, dass ich unwillkürlich aufhorchte.
    »Was?«
    »Als ob du es nicht ganz genau verstanden hättest!«, erwiderte
sie und ihre hellen Augen funkelten.
    Ich zwang mich, ihrem Blick standzuhalten, und kämpfte
ebenso entschlossen gegen den Druck an, der sich nun in meiner
Brust ausbreitete und mir die Luft abzuschnüren drohte.
Zu meinem Ärger war ich dem hilflos ausgeliefert, aber ich
schaffte es nicht, mich dagegen zu wehren.
    Sobald man mich drängte, an Cyril zu denken, tauchten sofort
die Bilder unserer letzten Begegnung vor meinem inneren
Auge auf und riefen die immer gleichen Widerstände in mir
hervor.
    Ich wusste einfach nicht, wie ich Ruby das klarmachen sollte.
Sie hielt inzwischen nämlich aus vollkommen unerfindlichen
Gründen ziemlich große Stücke auf ihn.
    Ein zaghaftes Klopfen ließ uns zusammenzucken.
    »Da ist er schon!«, rief Ruby.
    Sie stürzte zur Tür, riss sie auf und fiel Ashton in die Arme.
    Ich musste unwillkürlich lächeln, was den Druck in meiner Brust löste und einer quälenden
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