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Medusa

Medusa

Titel: Medusa
Autoren: Thomas Thiemeyer
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traurig, beinahe entschuldigend. Dann führte er die Waffe an seine Schläfe und drückte ab.
     
    Die Nacht war kühl und sternenklar, als die Reisenden endlich in Kores Höhle zurückkehrten. Sie hatten noch gewartet, bis der letzte Rest des schweren Autos in den Tiefen des Salzsumpfes versunken war, dann waren sie aufgebrochen. Niemand würde je erkennen können, was hier geschehen war. Hannah fühlte sich unendlich leer und ausgebrannt. Irene und Durand waren die letzten beiden Menschen gewesen, die außer Chris, Kore und ihr von der Existenz des Steins wussten. Sie hatten ihr Geheimnis mit ins Grab genommen. Natürlich wussten Durands Männer von der Existenz der unterirdischen Tempelanlage, aber das war nicht weiter dramatisch. Es würde eine Untersuchung geben, und mit großer Wahrscheinlichkeit würde man die Tempelanlage untersuchen, kartieren und dokumentieren. Sie allein barg Material für mehrere Jahrzehnte archäologischer Arbeit. Es würde wissenschaftliche Kongresse, Veröffentlichungen und Vorträge geben. Menschen würden auf der Bildfläche erscheinen, bemüht, sich den Ruhm und die Anerkennung für die Entdeckung an ihre Fahnen zu heften, aber sie würden auch wieder verschwinden, verbleichen wie Sterne im Angesicht der aufgehenden Sonne. Doch von dem Stein würde niemand erfahren. Das, worum sich alles in den letzten Tagen gedreht hatte, würde wieder in Vergessenheit geraten.
    Hannah wurde klar, dass sie mit der Entscheidung, was nun zu geschehen hatte, ganz allein stand. Weder Chris noch Kore würden ihr die schwere Last abnehmen können. Doch bevor es so weit war, würde sie das Auge berühren müssen. Kore hatte Recht. Es gab keinen anderen Weg.
    Die Höhle war dunkel, als sie eintrafen, und ihr Gastgeber machte sich sofort daran, ein Feuer zu entfachen, schweigsam, wie immer. Als die Flammen aufloderten, sahen sie, dass ihre Verfolger die Höhle zwar durchsucht hatten, dabei aber sehr respektvoll mit dem Besitz des Tuareg umgegangen waren. Keiner der wertvollen Krüge war zerstört worden, ebenso wenig waren Schmuckgegenstände oder die prächtige Ausgabe des Koran entwendet worden. Man mochte Durand vieles vorwerfen können, aber ein Dieb war er gewiss nicht gewesen.
    »Gibt es hier einen Ort, an dem ich ungestört sein kann?«, fragte Hannah, nachdem Kore sich ans Feuer gesetzt hatte.
    »Sie möchten es hinter sich bringen, nicht wahr?« Der alte Tuareg sah ihr in die Augen und lächelte verständnisvoll. »Es ist sicher das Beste für Sie. Möchten Sie sich vorher noch etwas stärken?«
    »Nein, ich muss jetzt schnell handeln, solange ich noch den Mut dazu habe.«
    Kore nahm ihre Hand und führte sie hinaus auf ein Plateau oberhalb der Höhle, von dem aus man einen zauberhaften Blick auf die umliegenden Felsformationen hatte.
    »Dies ist mein Gebetsplatz«, erläuterte er. »Es gibt keinen besseren Ort, um seinem Schöpfer gegenüberzutreten. Ich wünsche Ihnen alles Gute.« Er strich ihr übers Haar und kehrte in seine Höhle zurück.
    Hannah kniete sich nieder und betrachtete die nächtliche Wüste. Der Himmel war so klar, dass die Sterne auf sie herabzusinken schienen. Der Mond tauchte die Welt in sein Silberlicht, so dass selbst vereinzelte Tautropfen an den Gräsern wie Diamanten funkelten. Der laue Wind trug das Zirpen einer Grille zu ihr herüber, und von weither erklang der Ruf eines Ziegenmelkers, der einsam durch die Nacht flog.
    Hannah nahm ihren Mut zusammen, öffnete die Tasche und entnahm ihr den wertvollen Inhalt. Mit raschen Bewegungen schlug sie den feuchter Wollstoff zur Seite. Nun lag der Stein offen vor ihr. Seine gewölbte und genarbte Oberfläche glänzte unwirklich im Licht des Mondes. Jetzt ist es so weit, dachte Hannah, jetzt gibt es kein Zurück mehr.
    Sie hielt den Atem an, schloss die Augen, dann legte sie beide Hände auf die Kugel.
     
    Chris ließ eine Hand voll Sand durch seine Finger rieseln. Er hasste diese Warterei. »Ich finde, es ist leichtsinnig, sie so lange allein zu lassen. Vielleicht sollte ich mal nach ihr sehen.«
    Kore nahm einen tiefen Zug aus seiner Pfeife. »Lassen Sie sie in Ruhe. Sie kommt schon klar. Sie ist schon immer allein klargekommen, seit sie vor vielen Jahren in dieses Land kam.«
    »Sie verstehen das nicht. Das Auge der Medusa stellt eine Macht dar, mit der es kein Mensch aufnehmen kann. Ich weiß, wovon ich rede, ich habe gesehen, wozu es fähig ist.«
    »Begehen Sie nicht den Fehler, sich mit ihr zu vergleichen. Diese Frau ist
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