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Medusa

Medusa

Titel: Medusa
Autoren: Thomas Thiemeyer
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sie zukam. Es war Hannah Peters.
    Wollte sie ihnen helfen oder sich an ihrem Unglück weiden?
    »Hannah, komm zurück! Das ist doch Wahnsinn!« Chris Carters Stimme hallte über die Ebene. Er hatte ebenfalls das Zelt verlassen und wollte hinter ihr herlaufen, wurde jedoch von einem vermummten Targi daran gehindert. Die beiden Männer schienen miteinander zu ringen, aber Carter war dem Tuareg hoffnungslos unterlegen. Der großen schlanken Gestalt nach zu urteilen, handelte es sich dabei um niemand Geringeren als Kore Cheikh Mellakh vom Stamm der Kel Ajjer , seinen alten Widersacher.
    »Bleib stehen, ich bitte dich!«, brüllte Carter, doch die Archäologin machte keine Anstalten, seiner Aufforderung Folge zu leisten. Sie war jetzt auf dreißig Meter an das Fahrzeug herangekommen. Durand konnte ihr Gesicht erkennen. Es war durch die Entbehrungen der letzten Tage deutlich gezeichnet, und doch schwang ein Anflug von Mitleid in ihren Augen. Die Frau war nicht gekommen, um Zeuge ihres Untergangs zu werden, so viel war sicher. Sie stand einfach nur da und blickte mit schreckgeweiteten Augen zu ihnen herüber. In diese Hilflosigkeit hinein stieß Irene Clairmont unvermittelt einen Fluch aus, riss Durand mit einem wütenden Aufschrei das Gewehr aus der Hand, zielte auf Hannah und feuerte. Die Kugel schlug wenige Meter neben Hannah ein und wirbelte eine Hand voll Sand in die Luft. Doch der Rückstoß der Waffe war so stark, dass er Irene von den Füßen riss. Sie taumelte, ruderte mit den Armen und fiel. Mit einem Klatschen landete sie in der Salzlake und strampelte panisch.
    »Nein, hör auf damit. Beweg dich nicht!«, rief Durand, während er auf die Motorhaube kletterte und ihr Bein zu packen versuchte. Doch sie war zu weit entfernt. Schon sank das Fahrzeug langsam zur Seite. Geistesgegenwärtig kletterte Durand auf die andere Seite und stellte das Gleichgewicht wieder her. Mit Entsetzen beobachtete er, wie seine Gefährtin kreischend und strampelnd im grünweißen Mahlstrom vor seinen Füßen versank. Er wandte sich ab.
     
    Wie gelähmt starrte Hannah auf die Tragödie, die sich vor ihren Augen abspielte. Nun wusste sie, warum sie hergekommen war. Sie erwartete eine Antwort. Eine Antwort auf die Frage, die sie am meisten beschäftigte. Warum? Warum die Verfolgung, warum das Töten, warum dieser Hass?
    Doch musste sie zusehen, wie der Stein ein weiteres Opfer forderte. Sie hatte den Wahnsinn in Irenes Augen gesehen, als sie mit der Waffe auf sie zielte, und die Enttäuschung, als der Schuss danebenging. Und sie hatte die kindliche Verwirrung gesehen, als sie ein letztes Mal zu ihr herüberblickte, ehe sie für immer in den Tiefen der sebkah versank.
    Stille breitete sich aus. Oberst Durand hatte seine Hände in tiefer Verzweiflung vors Gesicht geschlagen. Er zitterte am ganzen Körper. Es schien, als hätte er keine Gefangene, sondern eine Geliebte verloren.
    Hannah war so verstört, dass sogar die Tränen ausblieben. Alles war verkehrt. Wie sie diesen Stein hasste. Er machte aus Feinden Freunde und aus Freunden Feinde. Er stellte alles auf den Kopf, verdrehte und verbog die Menschen, bis sie zu seelenlosen Hüllen wurden. Wenn es etwas durch und durch Böses auf dieser Welt gab, so war es dieser Stein.
    In diesem Moment fasste sie einen Entschluss. Sie wollte der unheilvollen Spirale ein Ende bereiten. Das Töten und Sterben sollte ein Ende haben, und zwar jetzt und hier.
    »Oberst Durand!« Ihre Stimme zitterte, so erschüttert war sie.
    »Sagen Sie mir bitte, was ich tun kann, um Ihnen zu helfen. Ich möchte, dass wir diesen Irrsinn friedlich zu Ende bringen. Von mir aus können Sie den Stein haben, nur lassen Sie uns mit diesem sinnlosen Töten aufhören.«
    Die Stimme, die ihr antwortete, war die eines gebrochenen Mannes. »Irene«, murmelte Durand, während er den Kopf hob und auf die Stelle starrte, an der die Reporterin versunken war.
    »Ich hatte so gehofft, hätte es mir so gewünscht. Aber in diesem trostlosen Land ist jede Hoffnung vergebens. Es gibt keine Rettung. Nicht für uns.«
    Mit diesen Worten griff er nach seiner Pistole. Er zog sie langsam aus dem Halfter, entsicherte sie und richtete den Lauf auf Hannah.
    »Ich werde nicht zulassen, dass Sie mich ein zweites Mal besiegen«, sagte er. »Noch einmal werde ich Ihnen diesen Triumph nicht gönnen.«
    Sie blickte ihm in die Augen. Seltsam, sie empfand nicht die geringste Angst. Der Tod hatte seinen Schrecken verloren.
    Durand nickte ihr zu, lächelte
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