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Medusa

Medusa

Titel: Medusa
Autoren: Thomas Thiemeyer
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dagegen wehren, solange ihr wollt, aber ich muss euch warnen. Gegen eine Branche, in der man sich schon fast zwanghaft duzt, habt ihr einen schweren Stand.« Als er lächelte, entdeckte Hannah eine Narbe, die sich über die rechte Wange zog.
    »Ich glaube, dass ich mich daran gewöhnen werde, Chris.« Sie war froh, dem eisernen Griff zu entkommen.
    Irene breitete die Arme aus. »Das war es im Großen und Ganzen. Eine bunte Truppe, nicht wahr?«
    Es war ein ungewohntes Gefühl, als sich alle Augenpaare auf sie richteten. Hannah räusperte sich. »Ihr macht alle den Eindruck, als wärt ihr viel in der Welt herumgekommen. Sicher habt ihr schon weitaus Beeindruckenderes zu sehen bekommen als das hier.« Sie schob ihre Brille nach oben und machte eine einladende Geste in Richtung der Zelte. »Macht es euch erst mal bequem. Nachher gibt es Couscous nach einem Spezialrezept von Abdu. Darf ich euch bis dahin einen Tee anbieten? Wir können uns dann über euren Auftrag und eure Pläne unterhalten. Außerdem sterbe ich vor Hunger auf Neuigkeiten; aus der zivilisierten Welt.«
    Irene lächelte entschuldigend. »Ehrlich gesagt, wir haben in den vergangenen zwei Tagen nichts anderes getan, als Tee zu trinken. Bitte halte uns nicht für unhöflich, aber wir alle brennen darauf, endlich deinen Fund zu bewundern. Ich glaube, ich spreche für alle, wenn ich sage, dass wir es vor Aufregung kaum noch aushalten. Wie weit ist die Stelle entfernt?«
    Hannah fühlte sich geschmeichelt. Sie spürte, dass ihre anfängliche Zurückhaltung zu bröckeln begann. Diese Menschen waren um den halben Globus geflogen und hatten unzählige Strapazen auf sich genommen, nur um ihre Schlucht zu sehen. Die Menschen, die später einmal den Film zu sehen bekommen würden, bedeuteten ihr wenig, aber diese sechs Zeitgenossen mit den erwartungsvoll glänzenden Augen waren real – und sie waren nur wegen ihres Fundes gekommen.
    »Gern, wenn ihr unbedingt wollt. Es ist nur wenige hundert Meter von hier entfernt. Nach der Entdeckung der Felsen vor fünf Monaten haben wir unser Basiscamp direkt hierher verlegt. Seitdem bin ich jeden Tag in der Schlucht gewesen. Es ist ein geweihter Ort, das werdet ihr spüren. Kommt!«
    Hannah ging mit Irene voran, der Rest des Teams folgte ihnen. Abdu, der die Schlucht schon oft genug gesehen hatte, wandte sich seiner Feldküche zu.
    Die Sonne stand bereits tief, als die Gruppe den Eingang zur Schlucht erreichte. Sie schoben sich durch den schmalen Durchlass und betraten den magischen Kreis, wie Hannah ihn getauft hatte. Nacheinander zwängten sich die Teammitglieder ins Innere des Kreises. Als sie die Zypresse erblickten, verstummten die Gespräche, und ehrfürchtiges Schweigen breitete sich aus. Hannah lächelte. Dieser Ort ließ niemanden unberührt, selbst wenn er noch so viel von der Welt gesehen hatte. Mit zögernden Schritten trat Irene in die Mitte und blickte sich um. Der Ausschnitt des Himmels über ihren Köpfen spiegelte sich in ihren Augen.
    »Wundervoll«, hauchte sie. »Einfach wundervoll. Was für eine Kulisse.«
    Malcolm Neadry schlich um den Baum und den Brunnen herum wie ein Raubtier um seine Beute. Er kramte im Inneren seiner Umhängetasche, förderte eine kleine digitale Videokamera zutage und blickte durch den Sucher. »Großartig«, brummte er. »Wie geschaffen für einen Szeneneinstieg. Ich kann die Sequenz schon vor mir sehen. Mit dem 35-er machen wir einen Rundumschwenk, ehe wir auf den Baum zoomen. Dann gehen wir auf Halbtotale und schneiden anschließend auf dich, wie du durch den schmalen Einstieg das Tal betrittst. Was hältst du davon, Irene?«
    »Ist in Ordnung, Malcolm. Aber wenn du erlaubst, möchte ich diesen Ort erst noch in Ruhe genießen.«
    »Ja, ja.« Neadry fuhr fort, den Kreis durch sein Objektiv zu beäugen, aber er hielt den Mund, wofür Hannah sehr dankbar war. Chris Carter, der Klimatologe, hatte sich von der Gruppe entfernt und ließ seine Hände über die geschliffenen Felswände gleiten. Hannah lächelte. Eine verwandte Seele. Es gab Menschen, die einen Gegenstand erst berühren mussten, um zu glauben, dass er wirklich existierte. Alle anderen standen schweigend neben Irene. Hannah nutzte die Stille, um mit einem Räuspern die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Ich störe eure Begeisterung nur ungern, aber ich bitte euch, vorerst noch keine Aufnahmen zu machen. Nicht, bis wir einige Dinge geklärt haben.«
    Irene hielt ihren Kopf schief. »Was für Dinge?«
    »Es geht um ein
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