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Medusa

Medusa

Titel: Medusa
Autoren: Thomas Thiemeyer
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weitersprach, schien er seine Worte genau abzuwägen. »Der Fund ist in Wirklichkeit zu großartig, um geheim gehalten zu werden oder als Fußnote in der Archaeology Today zu verkümmern. Du weißt das, und ich weiß das auch«, sagte er. »Aber ob wir nun den Ruhm dafür ernten oder jemand anderer, ist im Grunde egal. Genau genommen waren es ja die Tuareg, die die Entdeckung gemacht haben. Dies ist ihr Gebiet, ihr Geheimnis, ihr heiliger Ort, und sie haben uns lediglich gestattet, ihn zu besichtigen. Nun, du hast das Geheimnis ausgeplaudert, und das ist eine Sache, die dir schwer im Magen liegt. Irgendwann wirst du dich vor den Tuareg und deinem eigenen Gewissen verantworten müssen.« Damit stand er auf und ging wortlos davon.
    Hannah atmete tief durch. Sie wusste, dass er Recht hatte.
     
    Eine halbe Stunde später erschienen die Expeditionsfahrzeuge auf dem Hochplateau.
    »Merkwürdige Kisten«, bemerkte Abdu lapidar, als sie sich über die Kante des Plateaus schoben.
    Hannah fand, dass sie mit ihrem hohen Radstand aussahen wie bösartige Käfer. Das markante Rechteck mit der Aufschrift National Geographic Society prangte in gelben Lettern auf den Türen. »Das sind keine Autos, sondern Prestigeobjekte«, brummelte sie vor sich hin. »Dass man uns solche Fahrzeuge schickt, kann nur bedeuten, dass sie hier Großes erwarten.« Ihr kundiges Auge erkannte sofort, dass an den Fahrzeugen aufwändige Veränderungen vorgenommen worden waren. Sie waren mit Seilwinden, Rammschutz, Außenhalterungen sowie Vorrichtungen ausgestattet, die es erlaubten, auf den Dächern der Fahrzeuge Schlafkabinen einzurichten. Das alles unterstrich den Eindruck, dass hier keine Kosten und Mühen gescheut worden waren. Durch die Scheiben konnte sie die angespannten Gesichter der Teammitglieder erkennen. Der Besuch in der Sandwanne schien sie mitgenommen zu haben, und sie spürte einen Anflug von schlechtem Gewissen in sich aufsteigen.
    Die Fahrer lenkten die Autos in den Schatten des Überhanges. Als sich die Tür des vorderen Fahrzeugs öffnete, erkannte Hannah, weshalb sie nicht über das Team informiert worden war. Offensichtlich befürchtete man einen Rückzieher ihrerseits, würde sie vorzeitig erfahren, dass man eine Frau als Teamchefin eingesetzt hatte. Die braun gebrannten Beine steckten in sandfarbenen Boots und gehörten niemand Geringerem als der amerikanischen Journalistin Dr. Irene Clairmont. Hannah kannte ihr Gesicht aus Zeitschriften, Dokumentationen und Nachrichtensendungen. Sie musste so um die vierzig sein, also etwa im gleichen Alter wie sie selbst. Auch ein Kind der wilden Sechziger, stellte Hannah belustigt fest. Irene Clairmont war durch zahlreiche spektakuläre Aktionen berühmt geworden. Sie war eine der ersten Frauen gewesen, die den Mount Everest ohne Sauerstoff erklommen hatten. Musste so um 1982 herum gewesen sein, wenn Hannah sich recht erinnerte. Ihre Polarexpeditionen waren ebenso spektakulär wie ihr mehrmonatiger Aufenthalt bei den letzten Berggorillas. Außerdem war sie seit mehreren Jahren unangefochten die Nummer eins in Sachen Naturdokumentation. Eine beachtliche Zeitspanne in einer Branche, die sonst ausschließlich von Männern dominiert wurde. Als Hannah in Irene Clairmonts Gesicht blickte, wurde ihr schlagartig klar, wie hoch der Stellenwert war, den man ihrer Entdeckung zumaß.
    Irenes halblanges blondes Haar flatterte im Wind, als sie mit einem Lächeln auf sie zukam.
    »Dr. Peters, endlich lernen wir uns kennen.« Ihre Stimme klang tiefer als im Fernsehen. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mich freue.« Sie tauschten einen warmen Händedruck. »Es ist mir furchtbar unangenehm, dass wir hier so hereinplatzen. Ich kann mir vorstellen, wie das auf Sie wirken muss. Und dann noch mit diesen scheußlichen Kisten«, sie deutete auf die Autos. »Sponsoring von American Motors General . Da kann man nichts machen.« Sie zuckte mit den Achseln. »Aber kommen wir zu angenehmeren Dingen. Darf ich Sie mit Vornamen anreden?«
    »Gerne«, antwortete Hannah, ehe sie sich darüber im Klaren war, ob sie das überhaupt wollte. Doch die Offenheit dieser Frau war auf positive Art überwältigend. Irene Clairmont verfügte über Charisma, so viel war sicher. Die Falten um ihren Mund ließen zwar auf eine gewisse Härte schließen, aber ihr Auftreten war rundherum sympathisch.
    »Ich freue mich ebenfalls, Irene. Wir haben euer Flugzeug bereits vor zwei Tagen gesehen. Gab es Schwierigkeiten mit den
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