Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Medicus 03 - Die Erben des Medicus

Titel: Medicus 03 - Die Erben des Medicus
Autoren: Noah Gordon
Vom Netzwerk:
Kunstfehlerprozessen schützen.
    Oft fragte sie sich, wer diese Patienten eigentlich waren, die bei ihr Hilfe suchten. Welche Umstände in ihrem Leben, die den mehr oder weniger flüchtigen Blicken des Arztes verborgen blieben, führten zu ihrer Krankheit? Was würde aus ihnen werden? Sie hatte weder die Zeit noch die Gelegenheit, ihnen als Menschen zu begegnen, für sie wirklich Ärztin zu sein.
    An diesem Abend traf sie sich mit Gwen Gabler in Alex's Gymnasium , einem gehobenen Fitneßstudio am Kenmore Square. Gwen hatte mit R.J. die Medical School besucht und war ihre beste Freundin. Die Unbeschwertheit und das lockere Mundwerk der Gynäkologin an der Family Planning Clinic täuschten darüber hinweg, daß sie mit ihrem Leben nur mühsam zu Rande kam. Sie hatte zwei Kinder, einen Immobilienmakler zum Mann, der geschäftlich in eine Talsohle gerutscht war, dazu einen übervollen Terminkalender, beschädigte Ideale und Depressionen. Sie und R.J. kamen zweimal pro Woche ins Alex's , um sich mit einer langen Aerobic-Session zu bestrafen, törichte Sehnsüchte in der Sauna herauszuschwitzen, sich fruchtlosen Frust im Whirlpool herausmassieren zu lassen, im Foyer ein Glas Wein zu trinken und den ganzen Abend zu plaudern und zu fachsimpeln.
    Ihr bevorzugtes Laster war das Taxieren der Männer im Club und die Beurteilung ihrer Attraktivität rein nach dem Äußeren. R.J. fand heraus, daß für ihren Geschmack ein Gesicht den Anflug von Geist verraten mußte, den Hauch von Selbstkritik, während Gwen animalischere Qualitäten bevorzugte. Sie bewunderte den Besitzer des Clubs, einen knackigen Griechen namens Alexander Manakos. Es war leicht für Gwen, von muskulösen, aber seelenvollen Galanen zu träumen und dann heim zu ihrem Phil zu gehen, der kurzsichtig war und übergewichtig, den sie aber sehr schätzte. R.J. ging nach Hause und las sich mit medizinischen Zeitschriften in den Schlaf. Oberflächlich betrachtet, hatte sich für sie und Tom der amerikanische Traum erfüllt, ein ausgefülltes Berufsleben, das schöne Haus an der Brattle Street und ein Farmhaus in den Berkshire Hills, das sie für höchst seltene freie Wochenenden und Urlaube nutzten. Aber die Ehe war ein Trümmerhaufen. R.J. sagte sich, daß es vielleicht anders gekommen wäre, wenn sie ein Kind hätten. Ironischerweise war die Ärztin, die sich häufig mit der Unfruchtbarkeit anderer Frauen zu beschäftigen hatte, selbst seit Jahren unfruchtbar. Tom hatte eine Spermaanalyse machen lassen, und sie hatte sich einer ganzen Reihe von Tests unterzogen. Aber man fand keinen Grund für die Unfruchtbarkeit, und beide waren schnell wieder voll und ganz von den Verpflichtungen ihres Ärztedaseins in Anspruch genommen. Diese Anforderungen waren so hoch, daß sie sich alljährlich auseinanderlebten. Hätte ihre Ehe eine solidere Basis gehabt, hätte sie in den vergangenen Jahren zweifellos daran gedacht, eine künstliche Befruchtung oder eine In-vitro Fertilisation vornehmen zu lassen oder ein Kind zu adoptieren. Aber inzwischen hatten sie und ihr Gatte das Interesse verloren.
    Schon vor langer Zeit waren R.J. zwei Dinge klargeworden: daß sie einen oberflächlichen Mann geheiratet hatte und daß er sie mit anderen Frauen betrog.

Betts
    R.J. wußte, daß niemand so überrascht war wie Tom selbst, als Elizabeth Sullivan wieder in sein Leben trat. In ihrer Jugend hatten er und Betts zwei Jahre lang in Columbus, Ohio, zusammengelebt. Damals hatte sie noch Elizabeth Bossard geheißen. Nach dem zu urteilen, was R.J. hörte und sah, wenn Tom über sie redete, mußte er sie sehr gerne gehabt haben. Aber sie hatte ihn verlassen, nachdem sie Brian Sullivan kennengelernt hatte.
    Sie hatte Brian geheiratet und war in die Niederlande gezogen, nach Den Haag, wo er als Marketingmanager für IBM arbeitete. Einige Jahre später wurde er nach Paris versetzt, und weniger als neun Jahre nach ihrer Heirat erlitt er einen Schlaganfall und starb. Zu diesem Zeitpunkt hatte Elizabeth Sullivan bereits zwei Kriminalromane veröffentlicht und verfügte über eine breite Leserschaft. Ihr Protagonist war ein Computerprogrammierer, der für seine Firma unterwegs war, und jedes Buch spielte in einem anderen Land. Sie reiste, wohin ihre Bücher sie führten, und lebte meistens ein oder zwei Jahre in dem Land, über das sie schrieb.
    Tom hatte die Anzeige von Brian Sullivans Tod in der New York Times gesehen, Betts einen Beileidsbrief geschrieben und darauf von ihr eine Antwort erhalten. Abgesehen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher