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Medicus 03 - Die Erben des Medicus

Titel: Medicus 03 - Die Erben des Medicus
Autoren: Noah Gordon
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herrschte ein Abtreibungskrieg. Viele Ärzte wurden aus den Kliniken vertrieben, wurden eingeschüchtert von dummen und taktlosen Drohungen der Anti-Abtreibungs-Bewegung. R.J. war der Überzeugung, daß jede Frau das Recht hatte, über ihren Körper selbst zu bestimmen, und deshalb fuhr sie jeden Donnerstagmorgen nach Jamaica Plain und schlich sich durch die Hintertür in die Klinik, um den Demonstranten aus dem Weg zu gehen, den Transparenten, die man vor ihr schwenkte, den Kruzifixen, die man ihr entgegenreckte, dem Blut, mit dem man sie bespritzte, den Föten in Flaschen und den Beleidigungen.
    Am letzten Donnerstag im Februar parkte sie in der Auffahrt von Ralph Aiello, einem Nachbarn, der von der Klinik bezahlt wurde. Der Schnee in Aiellos Garten war tief und frisch, aber der Mann hatte sich sein Geld verdient, indem er einen schmalen Pfad zur hinteren Gartentür freigeschaufelt hatte. Direkt an Aiellos Zaun schloß sich der Hinterhof der Klinik an, und von dort führte ein ebenfalls freigeschaufelter Weg zur Hintertür der Klinik. R.J. legte den Weg von ihrem Auto zur Kliniktür immer sehr schnell zurück, denn sie hatte Angst, daß die Demonstranten plötzlich vom Bürgersteig vor der Klinik um die Ecke stürmen könnten, und außerdem war sie wütend und ganz unlogischerweise beschämt, weil sie sich zu ihrer Arbeit als Ärztin wie ein Dieb schleichen mußte.
    An diesem Donnerstag kam kein Lärm von der Vorderseite des Gebäudes, kein Schrei, keine Verwünschung, aber R.J. war sehr bekümmert, denn sie hatte auf dem Weg zur Arbeit kurz bei Elizabeth Sullivan vorbeigeschaut.
    Elizabeth hatte das Stadium der Hoffnungslosigkeit und der unstillbaren Schmerzen erreicht. Zwar hatte sie einen Knopf, den sie zur Selbstmedikation drücken durfte, doch die Dosis, die sie dadurch bekam, war fast von Anfang an ungenügend gewesen. Sooft sie das Bewußtsein wiedererlangte, litt sie unsäglich, so daß ihr Howard Fisher inzwischen starke Dosen Morphium gab.
    Sie schlief in ihrem Bett, ohne sich zu rühren.
    »Hallo, Betts!« hatte R.J. laut gesagt und die Finger auf Elizabeth' warmen Hals, in dem schwach der Puls schlug, gelegt.
    Dann, fast gegen ihren Willen, hatte sie die Hände dieser Frau mit den ihren umschlossen, und irgendwo aus der Tiefe Elizabeth Sullivans war etwas in R.J. übergeströmt und in ihr Gedächtnis gedrungen. R.J. war sich bewußt geworden, wie klein dieser Lebensrest nur mehr war, der sich ständig und langsam weiter verringerte. Ach, Elizabeth, du tust mir ja so leid, meine Liebe! hatte sie im stillen gesagt.
    Elizabeth hatte den Mund bewegt, worauf R.J. sich über sie beugte, bemüht, sie zu verstehen.
    »... eine Grüne. Nimm die Grüne!«
    R.J. hatte dies einer der Schwestern auf der Station erzählt, Beverly Martin.
    »Gott steh ihr bei!« sagte die Schwester. »Normalerweise ist sie nie wach genug, um überhaupt etwas zu sagen.«
    In dieser Woche war es, als würden sämtliche Daumenschrauben, mit denen man R.J. marterte, plötzlich fester angezogen.
    In einer Abtreibungsklinik in New York war in der Nacht Feuer gelegt worden, und in Boston loderte die gleiche kranke Wut. Ziel großer, turbulenter Demonstrationen, die teilweise manisch ausarteten, waren zwei Kliniken von Planned Parenthood and Preterm in Brookline gewesen. Die Unruhen hatten zu einer Unterbrechung des Krankenhausbetriebs, zu einem massiven Polizeieinsatz und zu Massenverhaftungen geführt. Jetzt wurde erwartet, daß das Family Planning Center in Jamaica Plain als nächstes an der Reihe sei.
    Im Personalzimmer saß eine ungewöhnlich stille Gwen Gabler und trank Kaffee. »Stimmt was nicht?«
    Gwen stellte die Tasse ab und griff nach ihrer Tasche. Das Blatt Papier war doppelt gefaltet. Als R.J. es öffnete, sah sie, daß es ein Fahndungsplakat war, wie man es in Postämtern findet. Es trug Gwens Namen und Adresse, ihr Foto, ihren Wochenplan, die Information, daß sie eine lukrative Gynäkologie - und Geburtshilfepraxis in Framingham aufgegeben hatte, um mit Abtreibungen reich zu werden , und schloß mit dem Verbrechen, dessentwegen sie gesucht wurde: Mord an Babys.
    »Fehlt nur noch tot oder lebendig «, bemerkte Gwen verbittert. »Haben Sie so ein Plakat nicht auch für Les gemacht?« Leszek Ustinovich hatte sechsundzwanzig Jahre lang als Gynäkologe in Newton praktiziert, bevor er zur Family Planning Clinic kam. Er und Gwen waren die einzigen Vollzeitärzte des Krankenhauses. »Nein, wie's aussieht, haben sie mich als
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