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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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ungelesenes Prämienbuch in einer Schrankwand. Der Mitteldeutsche Verlag und Tribüne führten in jenen Tagen die Hitliste der ungelesenen Bücher an.
    Wolfgang Stiehler, damals 1. Sortimenter der Buchhandlung und Mitglied der Prüfungskommission, erzählte, wie man mir zur Facharbeiterprüfung in der Belletristik-Abteilung die Aufgabe stellte, ein Angebot für Auszeichnungen zusammenzustellen. Ich legte also diverse Bücher vor. Ein Mitglied der Kommission fragte mich, nach welchen Gesichtspunkten ich diese Literaturauswahl getroffen hätte. Meine Antwort lautete schlicht und einfach: »Weil wir davon so viel haben.«
    Noch Fragen?
    Viel diskutiert und freiwillig gelesen wurden in den sechziger Jahren »Der geteilte Himmel« von Christa Wolf, »Ole Bienkopp« von Erwin Strittmatter, »Beschreibung eines Sommers« von Karl-Heinz Jakobs, »Die Aula« von Hermann Kant und »Spur der Steine« von Erik Neutsch. Sehr geschätzt in intellektuellen Kreisen war »Levins Mühle« von Johannes Bobrowski.
    In der Buchhandlung kam ich, im Gegensatz zur LPG , in Gesprächen mit unterschiedlichen Menschen zusammen. Unser Chef, kein Genosse, aber Mitglied der NDPD, war teils fröhlich, teils poltrig, nur am Wochenende zu Hause, irgendwo im Erzgebirge. Während der Arbeitswoche lag er im Bett unserer Buchhalterin. Jeder im Geschäft wußte das, aber die beiden hielten eisern auf Form, begrüßten sich jeden Morgen fröhlich im Büro, obwohl sie sich kurz vorher erst voneinander verabschiedet hatten. Sie siezten sich den lieben langen Tag. Er war ein Frauenverehrer par excellence, sie durften auch um einiges jünger sein.
    Manchmal saß er mit unserem Fahrer Eberhard, einem fröhlichen und pfiffigen Mülsener, im Keller bei einer Flasche Wodka. Dort befand sich ein Tresorraum. Der wurde aber nur noch zur Lagerung alkoholischer Schätze benutzt. Mit den Jahren wurde unser Chef immer cholerischer, wenn ihm jemand widersprach. Von der Galerie tobte dann der nationaldemokratische erzgebirgische Poltergeist. In der Buchhandlung gab es ein Wiedersehen mit Christel, einer Oberschülerin, die in der Gärtnerei von mir polytechnisch gebildet worden war. Sie lachte gern und verkauft heute noch Bücher in Zwickau. Und lacht immer noch gern.
    Da war der kumplige Einpacker Fred, der durch die Gegend hinkte und das Klebeband bei den Paketen prinzipiell mit der Zunge befeuchtete. Eines Tages vergriff er sich an der Portokasse, was ihm kein Mensch zugetraut hätte. Was wird das bei den niedrigen Briefmarkenpreisen für eine Summe gewesen sein? Und wir bekamen einen neuen Einpacker.
    Außendienstmitarbeiter war ein intelligenter Mann mit randloser Brille und trockenem Humor. Als wir uns etwas länger kannten, erzählte er mir, daß er ein abgesetzter Staatsanwalt sei. Er hatte einige Vorträge gehalten, dafür Honorare in Empfang genommen und vergessen, sie anzugeben. So wanderte der Staatsanwalt des Volkes ins Gefängnis und landete anschließend beim Buchhandel des Volkes.
    Als ich dann auch im Außendienst arbeitete, sogenannte Vertriebsmitarbeiter in den großen Betrieben besuchte, die im Auftrag des Volksbuchhandels dort Bücher verkauften, und als ich mich zum ersten Mal in meinem Leben traute, während der Arbeitszeit in einem Kaffeehaus zu sitzen, da habe ich dieses Stückchen Freiheit wahnsinnig genossen. So etwas hätte ich mir doch als Gärtner nie herausnehmen können! An jenem Tag, als ich dort einen Kaffee trank und dem Zigarettenrauch nachsah, fühlte ich mich meinem erträumten Künstlerleben schon einen ganz gehörigen Schritt nähergekommen.

Britt
    In der Buchhandlung lernte ich Brigitte kennen, eine Praktikantin am Theater. Mit ihr kam etwas internationales Leben in mein provinzielles Dasein. Sie hatte Kontakte nach Frankreich und besaß eine für mich stattliche Sammlung französischer Platten. Da hörte ich die großen Chansonniers, lernte neue Sänger wie Richard Anthony kennen. In Erinnerung geblieben ist mir sein schönes »J’ entends siffler le train«. Nur um dieses Lied wieder einmal hören zu können, kaufte ich mir 8 CDs mit französischen Schlagern und Chansons, und die Stimmung jenes Jahres stellte sich tatsächlich wieder ein.
    Bei Britt, so riefen wir sie, sah ich auch das erste Mal echte Beatles-Platten! Die Beatles trafen, obwohl sie in völlig anderem Milieu lebten, das Lebensgefühl der jungen Leute in Zwickau, Bezirk Karl-Marx-Stadt, DDR, aufs Haar.
    Was für eine Musik!
    »She loves you, yeah, yeah, yeah
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