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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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…« Walter Ulbricht hatte doch tatsächlich in einer Rede mit seiner für Sachsen leicht nachzuahmenden hohen Fistelstimme gesagt, daß wir dieses »Yeah, yeah, yeah nicht brauchen, ja?!«. Ulbricht beendete seine Sätze oft mit einem bestätigenden »Ja«.
    Und mit der Behauptung lag er so weit daneben!
    O yeah, wir brauchten es, wir brauchten »I want to hold your hand« und »A hard day’s night« und »Let it be«. Wir brauchten diese Lieder so sehr – und einige drehten sich auf dem Plattenteller bei Britt. Durch sie tat sich für mich eine musikalische Welt auf. Vor mir liegen Fotos von einer Silvesterfete mit Zwickauer Freunden, zu der Britt ihre Platten mitgebracht hatte. Auf diesen Fotos sind neben unserer fröhlichen Truppe auch immer wieder alle Cover, die damalsnoch schlicht Schallplattenhüllen hießen, abgelichtet worden. Solche Platten, die waren schon ein Foto wert! Und unsere Clique hörte und tanzte selig nach der von uns so verehrten Musik.
    Von Britt erfuhr ich, daß man in der DDR eine kommunistische Jugendzeitschrift aus Frankreich abonnieren könnte. Ich hatte keine Ahnung von Französisch, aber als ich das erste Mal »Nous les garçons et les filles« in den Händen hielt, war ich als 20jähriger natürlich von den Fotos begeistert: nun hingen die »Beatles« endlich auch über meinem Bett!
    Mit Britt ging ich zu einer Lesung von Stefan Heym im Zwickauer Club der Intelligenz. Im Sturm und Drang der revolutionären Nachkriegszeit hatte man diesen Club in einer ehemaligen Bank eingerichtet. Raten Sie mal, wer nach der Wende wieder in diese Räume einzog?
    Heym war den Oberen schon immer ein Dorn im Auge, in den sechziger Jahren wurde unentwegt gegen ihn gehetzt. Da zählte auch nicht, daß er als Jude in die Emigration hatte gehen müssen und als Angehöriger der amerikanischen Armee nach Deutschland zurückkam. In den fünfziger Jahren waren der Parteiführung sowieso alle Westemigranten verdächtig.
    Heym stammte aus Chemnitz, und etwas sächsischer Slang war auch nicht zu überhören. Er las damals aus einem Manuskript mit dem Titel: »Der Tag X«. Ich fand die Proben ganz erstaunlich, denn schließlich ging es um den 17. Juni 1953. Ein Tabu-Thema. Das war auch der Grund, warum dieses Buch nie in der DDR erschien und viel später unter dem Titel »Fünf Tage im Juni« im Westen herauskam. Ich fand Heym sehr mutig und auch lässig, während der Lesung lag sein Hund unter dem Tisch. Und wäre einer gekommen, der seinem Herrn übelwollte, vielleicht hätte er nicht nur geknurrt …

Die Ostsee
    1962, mit 18 Jahren, sah ich zum ersten Mal die Ostsee!
    Mit Hans-Jürgen Fliege (nicht zu verwechseln mit dem fast namensgleichen, nervenden Fernsehpfarrer, obwohl Hans-Jürgen auch problemlos Menschen »nerven« kann, denn er ist Zahnarzt!) verließ ich Zwickau auf seinem blauweißen Motorroller »Berlin«. In den Morgenstunden fuhren wir los – es war noch dunkel. »Zieh dir lange Unterhosen an«, hatte Hans-Jürgen geraten, »es wird saukalt auf dem Ding.«
    Der Hinweis war berechtigt gewesen. Ich hätte nicht für möglich gehalten, wie kalt es mitten im Sommer sein kann. Nun rollten wir mit dem Roller Richtung Norden. Ich hatte kaum Erfahrungen mit motorisierten Zweirädern, denn nur einmal war ich mit meinem Bruder Martin von Zwickau nach Reichenbach gefahren, auf einem »Wiesel«.
    Von Zwickau im Vorerzgebirge bis an die See – das ist ja nun wirklich der nächste Weg. Mit 80 Stundenkilometern tuckerten wir der Küste entgegen. Dank einer steifen Brise aus Südwest schaffte der Motorroller auch mal die magischen 90. Als wir Mecklenburg erreicht hatten, schien – wie man damals immer scherzhaft sagte – die Sonne in Strömen. Wir hielten in einem kleinen verschlafenen Ort, und zu unserem Glück waren im Dorfkonsum gerade Regenumhänge am Lager. In Zellophan verpackt, donnerten wir wenig später unserem Urlaubsglück entgegen.
    Durch Vermittlung von Lutz Sporberth, einem Zwickauer Bekannten, hatte ich auf Hiddensee einen Ferienplatz bekommen. Das einzige Mal übrigens in meinem Leben, daß ich durch die Gewerkschaft solch einen Nutzen hatte.
    Und dann gleich auf Hiddensee – ein Hauptgewinn!
    Hans-Jürgen fuhr auf gut Glück mit. Er hoffte, wir würdendie Wirtsleute, die jenes Zimmer an den FDGB vermieteten, überzeugen können, daß er seine Luftmatratze auch darin aufblasen dürfte.
    Von Schaprode schipperten wir der Insel entgegen.
    1962 war auf Hiddensee vieles noch im Vorkriegsstil. Da
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