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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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Partei, wurden DDR-Bürger mit westlicher Kultur verseucht, dort gab es Wechselstuben mit Schwindelkursen. Dort wurde überhaupt prinzipiell geschwindelt. Man hatte dafür extra den RIAS geschaffen, den Rundfunk im amerikanischen Sektor. Von dort schwangen sich die RIAS-Enten in die Ätherwellen, und mit diesem Äther wurden schwankende Bürger, nicht gefestigte Menschen hier im Land betäubt. Meine Freunde und ich sahen die Situation mit dem RIAS natürlich ganz anders. Ein paar Jahre zuvor hatte uns »der Onkel Tobias vom Rias« noch begeistert, inzwischen waren es die »Schlager der Woche«, die wir nie verpaßten, wenn uns im Radio ein störungsfreier Empfang beschieden war.
    »Wie machen sie denn die Grenze dicht?«
    »Mit Betonblöcken und Stacheldraht.«
    »Wo haben die denn so viel Stacheldraht her?«
    Mein Freund zuckte die Achseln, grinste und meinte: »Vielleicht aus dem Westen?«
    Wir lachten und hatten keine Ahnung, wie nahe dieser Scherz der Wahrheit kam.
    Eine Mauer aus Betonblöcken? – Ich konnte es noch immer nicht fassen. Hatte ich doch vor nicht allzu langer Zeit irgendwo bei Bekannten im Fernsehen – oder war es im »Augenzeugen« gewesen – Walter Ulbricht gesehen, wie er in einer Pressekonferenz gegen Gerüchte Stellung nahm: »Die Bauarbeiter unserer Hauptstadt beschäftigen sich hauptsächlich mit Wohnungsbau, und ihre Arbeitskraft wird dafür voll eingesetzt. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!«
    Und nun diese Nachricht!
    War das nicht blamabel für Ulbricht, so in die Welt hinaus gelogen zu haben! Störte es die vielen Genossen der SED denn gar nicht, daß ihr Erster Sekretär als Lügner dastand?!
    Am 13. August wurde die Mauer errichtet, mit Splittbetonplatten und Hohlblocksteinen, die ursprünglich für den sozialistischen Häuserbau gedacht waren. Daraus entstand nun dieses sozialistische Ungetüm …
    Die Lage hatte sich in den Monaten vorher zugespitzt. Allein während der Weihnachtsfeiertage 1960 waren 3000 Menschen aus dem Osten geflüchtet. Über die Osterfeiertage des Jahres ’61 waren es 5200. Die DDR geriet immer mehr unter Druck. Aber eine Mauer – das hätte niemand geglaubt. Viele meinten, es wäre technisch völlig unmöglich, Berlin zu trennen, die U-Bahn, die S-Bahn, die Schifffahrt, die Leitungen für Strom, Gas, die Kanalisation …
    Täglich überschritten rund 500000 Menschen die Sektorengrenzen. Und es gab 53000 Grenzgänger, so nannte man jene Leute, die im Westen arbeiteten und im Osten wohnten, quasi privilegierte Leute. Wenn sie nur einen Teil des Lohnes in Ost-Mark umtauschten, waren sie nahezu wohlhabend.
    Ich selbst hatte Westberlin noch nie gesehen, aber ältere Bekannte fuhren meist einmal im Jahr dorthin, tauschten in den Wechselstuben, kauften sich eine schicke Klamotte in der »HO Gesundbrunnen«. Und gingen vor allem ins Kino!
    Von 1949 bis zum 13. August 1961 hatten 2,7 Millionen Menschen die DDR verlassen. Ein großer Teil des Bürgertums war in den Westen gegangen. Geblieben waren oft Menschen, die von ihrer Heimat nicht lassen konnten oder von einer Reform träumten.
    Uns wurde in der Schule immer wieder erzählt, daß der Westen an seinen Widersprüchen kaputtgehen wird. Es wäre nicht mehr lange hin. Und trotzdem wollten so viele hinüber in diesen sterbenden Kapitalismus, denn – wie es ein Witz beschrieb: Es wäre »ein schöner Tod«!
    Und nun wurde also tatsächlich eine Mauer gebaut … Am nächsten Tag standen in Schulen Thälmann-Pioniere neben der Büste des Arbeiterführers Wache – mit einem Luftgewehr.
    Wir hatten natürlich an jenem Sonntag noch keine Ahnung, was die Grenzsicherung für uns bedeutete, daß wir nun für viele Jahrzehnte vom größeren Teil der Welt abgeschnitten sein würden. Es war uns lediglich etwas mulmig, weil wir ahnten, daß sich die politische Lage dadurch zuspitzen könnte. Und manche sagten auch unverblümt und zornig: »Die mauern uns ein!« oder »Nun ist alles zu Ende!«.
    Aus kindlichem Stubenarrest war Landesarrest für ein ganzes Volk geworden.
    Natürlich gab es auch Menschen, die meinten, daß es nach dem Mauerbau aufwärtsgehen würde, wenn so viele im Osten ausgebildete Facharbeiter und Wissenschaftler hierbleiben und die DDR-Wirtschaft mit voranbringen würden. Nicht wenige hofften auf Stabilisierung.
    An jenem Sonntag im August verbreitete sich allerdings erst einmal die Angst, daß die Lage eskalieren könnte. Kampfgruppen standen am Brandenburger Tor. Die Deutsche Volkspolizei
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