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Matzbachs Nabel

Matzbachs Nabel

Titel: Matzbachs Nabel
Autoren: Gisbert Haefs
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zum Kamin, wo auf der Pyramide dickerer Hölzer seine Gewänder ruhten. Nachdem er die helle Leinenhose, die die untere Hälfte seiner 120 Kilofaßte, mit dem Gürtel gesichert hatte, stülpte er ein blaues Frotteehemd über die obere Partie. Das Wasser in der Kanne begann mißtönend zu singen.
    Nach Heinrich Genengers Auskünften war auch der Speicher über dem einen großen Raum der ollen Kapolle leer. Herd, Kamin, bunte Fenster, die Heizkörper und die Tröge an der Wand gegenüber der Tür hatten seit Jahren den Raum mit Mäusen und anderen Geschöpfen des Feldes sowie Unrat geteilt. Jorinde Seyß und Baltasar Matzbach, am späten Nachmittag des Vortags zur Erholung angereist, waren vor der Tür mit dem demontierten Bettgestell, Matratzen, Decken, Brennholz, Tannenzapfen, einem Eimer, mehreren Besen und einem Zettel von Genenger kollidiert – er habe dringend fortgemußt, werde morgens jemanden bestatten und stehe alsdann zur Verfügung; bis dahin wünsche er feines Räumen und seliges Beilager. Dank längerer Telefonate in den letzten Wochen wußten sie, daß der moderne Anbau seit dem Tod des weiland Staatssekretärs versperrt war. Die Unschlüssigkeit der kleinen Landgemeinde hinsichtlich der Gebäude dauerte pietätvoll an.
    Das Dorf lag an der Mündung des Adelbachs in die Ahr. Im Zuge der Gebietsreformen war es annektiert worden; es gab jedoch neben Bauern, Winzern, Handwerkern, Krämern und dem Pfarrer immer noch einen Dorfbürgermeister und offenbar auch Zuständigkeit für verwahrloste Gebäude. An der Mündung war das Tal breit genug für Felder und Weiden; die talauf schnell zusammenrückenden Hänge, nach alter Art terrassiert, produzierten mit Hilfe von Sonne, Regen, Wind und Winzern mehrere Weinsorten, über deren Trinkbarkeit Matzbach sich näher informieren wollte.
    Auf dem linken Ufer des unbegradigten Bachs schlängelte sich eine vor vielleicht zwanzig Jahren zuletzt nachgebesserteAsphaltstraße talauf. Etwa dreieinhalb Kilometer vom Ortskern, mehr als zwei Kilometer vom letzten Haus entfernt, lag des verstorbenen Staatssekretärs Eremitage auf einer kleinen Kuppe, hundert Meter von der Straße und zweihundert Meter vor dem Beginn des Weinhangs. Der Feldweg – ringsum lag etwas, was Sauerwiese oder verwilderte Weide sein mochte – bestand aus Lehm, Schotter und Löchern.
    Einen weiteren Kilometer talauf mündete ein namenloser Minilauf in den Adelbach. Immerhin hatte das Wässerlein in Jahrzehntausenden einen V-Ausschnitt in die Berge gefräst; dort endete der Weinbau, und dort begann das Reich von Heinrich Genenger. Von der verwilderten städtischen Nachkommenschaft eines alten Adelsgeschlechts – man hielt sich nur noch zu bestimmten Gelegenheiten in den Hallen der Vorväter oberhalb des Tales auf und ließ die Gebäude gezielt verfallen – hatte Genenger vor Jahren ein Areal namens Galgenberg »zu Lehen genommen«. Nach alter Überlieferung sollten dort nur Schufte und anderes Kroppzeug verscharrt werden. Genenger, Absolvent mehrerer Universitäten, Dr. phil. (mit Dissertation über Spinoza), hatte seine nutzlosen Philosophiekenntnisse, die ihn im Leben nicht weiterbringen konnten, sinnvoll aufgegeben und sich dem Geschäft des Todes gewidmet, von dem er prächtig lebte, indem er auf seinem Privatfriedhof um teures Geld Snobs bestattete, die nach ausgefallenen, okkulten, finsteren oder obszönen Riten beigesetzt werden wollten und bei bundesdeutschen Friedhofsämtern nicht landen konnten. Matzbach hatte Heinrich Genenger und die ehemalige Studentin der Philosophie, nunmehr Hexe Jorinde Seyß, vor zehn Jahren bei einem Treffen kreativer Ex-Philosophen kennengelernt, die sich als Tierverleiher, Auftragsdichter, Heraldikmodistin, Portraitrice, Computerkomponistin,Beratender Philosoph (mit Praxis in Bonn) sowie eben Privatbestatter und Hexe selbständig gemacht hatten, statt Matzbach in seiner Eigenschaft als Steuerzahler auf der Tasche zu liegen. Es war ein wildes Wochenende in einem verschneiten Haus im Westerwald gewesen, mit Marder und allerlei erotischen Leibesübungen und einem Mord, den Matzbach hatte aufklären können, ehe der Schnee wieder schmolz. *
    Als das Wasser kochte, schüttete Matzbach vierzehn Löffel Kaffee in die Kanne, die neun Tassen faßte, ließ sie einen Moment auf der Platte stehen, streute eine Prise Salz in das Gesprudel, schlug an der Pfanne, in der zerlassene Margarine zischte, ein Ei auf, warf die Schale ebenfalls in den Kaffee und schob das Blechgefäß dann
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