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Matzbachs Nabel

Matzbachs Nabel

Titel: Matzbachs Nabel
Autoren: Gisbert Haefs
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an den etwas kühleren Herdrand. Aus dem mitgebrachten Proviant folgten fünf weitere Eier, ein paar Scheiben
bacon
, Salz und Pfeffer; dann säbelte er von dem dicken Laib Graubrot, den Genenger als Willkommen auf der Schwelle hinterlassen hatte, vier fingerdicke Scheiben ab, wühlte nach Tellern, Blechbechern und Besteck, lief zu seinem Wagen hinaus, kehrte mit zwei Picknickstühlchen und einem Klapptisch zurück und arrangierte am Fußende des Betts alles für ein Schlemmerfrühstück. Den Slivovitz lehnte Jorinde dankend ab; mit großen Augen sah sie zu, wie Baltasar die Nylonstrümpfe beschnupperte.
    »Was wird das?«
    Er hob das Gebinde hoch. »Ich hoffe, die sind unbenutzt, oder jedenfalls nicht allzu oft getragen seit der letzten Wäsche. Wäscht man so was?«
    »Man tut das, ja. Wieso?«
    Matzbach spitzte konzentriert den Mund, breitete ein Oberschenkelstück Nylon über seinen Blechbecher und siebteden Kaffee. »Darum, Gespielin des Nachtwinds. Du auch?«
    Sie zuckte mit den Schultern, wickelte sich in die Decke, nahm Platz und aß zwei Spiegeleier zu einer Scheibe Brot; der Rest verschwand in Matzbach.
    »Irgendwie«, sagte er mit vollem Mund, »find ich das hier ganz nett. Vor allem dieses mobile Aushaus drauß und den Badetrog vor der Tür. Ob in dem Anbau Dinge sind, die man als sanitäre Einrichtungen umschriebe, wenn man es wüßte?«
    »Selbst wenn – wie soll man reinkommen?« Jorinde blickte hin und her im Raum, der in allen Farben des Regenbogens schillerte. Auf Matzbachs Stirn waberte ein roter Klecks: Sonnenlicht und ein Scheiterhaufen im Fenster mit einem zappelnden Märtyrer. Sie streifte die Proviantkartons, verstreuten Koffer, Matzbachs Seesack, die Bücherkiste mit wehmütigem Blick, seufzte und schloß die Augen, als Baltasar den leeren Teller von sich schob, rülpste, Kaffee per Nylon nachgoß, mit Slivovitz versetzte und die erloschene Frühzigarre wieder ankokelte.
    »Und jetzt?« sagte sie schwach.
    »Ah, na was? Genenger auf seiner Leichenhalde aufsuchen. Wenn’s da interessante Leichen gibt … Wann hatte ich die letzte interessante Leiche? Elend lange her.«
    »Ich denke, wir wollen uns erholen.«
    »Deine Anwesenheit entschädigt mich in einer Minute für einen Monat des Darbens, Madame. Gewissermaßen bin ich bereits erholt.«
    »Irgendwie ist mir nicht nach Leichen zumute.« Sie öffnete die Augen und lächelte. »Selten. Außer wenn ich Tischrücken spiele oder professionell mit dem Jenseits telefoniere.«
    »Sehr wohl, Frau Hexe. Muß aber heut früh nicht sein, oder?«
    »Muß nicht, nein. Ich glaub, ich räum ein bißchen auf.«
    Baltasar ging um das Bett herum und klaubte ein Buch vom Boden. »Hier. Wenn du dich zwischendurch amüsieren willst.«
    Sie nahm den Band in die Hand, drehte ihn hin und her. »
Morganatische Gesänge
«, sagte sie halblaut; sie runzelte die Stirn. »Von Osiris K. Was ist das denn?«
    »So was wie ein subversiver Heimatdichter. Hockt hier irgendwo in der Nähe. Hat mir Genenger mal geschickt, aber bisher war ich nicht dazu gekommen.«
    Jorinde blätterte. »Sieht wie richtiges Bütten aus. Jesses.«
    »Macht der wohl alles selber. Schöpft Papier, vergnügt sich mit Handsatz, bindet und marmoriert. Und dichtet.
Mon dieu
, und wie der dichtet!«
    »Und was, bitte sehr, sind morganatische Gesänge?«
    Matzbach grunzte. »Das war früher mal, wenn ein Fürz oder King oder Prinz ein Mädel nahm, und die Dame war nicht standesgemäß, so daß sie zwar in sein Bett durfte, aber nicht an seinen Privilegien teilhaben oder Thronrechte genießen, dann war das eine morganatische Ehe. Auch Ehe zur linken Hand oder linker Hand oder so. Lyrik linker Hand ist das wahrscheinlich. Aber verglichen mit dem, was sonst so an Gedichten gedrechselt wird, ist es nicht schlecht. Allein für die Zeile ›die Vögel hocken hustend im Geäst‹ hat er nen Preis verdient.«
    »Ach, deine üblen Aufstehverse vorhin sind von
dem

    »Just so.« Er kratzte sich den Kopf. »Ich glaube, ich überlasse dich deiner Ordnungsliebe und geh Leichen kucken. Bis nachher, Fürstin des Morgendämmers.« Er schleuderte eine Kußhand nach ihr; Jorinde duckte sich.
    * Vgl. Mörder & Marder

2. Kapitel
    Auf leisen Sohlen, die Socken in der Tasche, die Schuhe in der Hand, drückte Matzbach sich durch das Tor der von Genenger als Sichtschutz angelegten Friedhofsmauer, mied den Kies und schlich Taxushecken entlang über den Grasrand. Der Drachenkopf der purpurnen Gondel, die Genengers Särge auf
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