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Matrjoschka-Jagd

Matrjoschka-Jagd

Titel: Matrjoschka-Jagd
Autoren: Marijke Schnyder
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abrupt ab und lief den Tumarkinweg entlang in Richtung Falkenplatz. Ging unter den hohen Herbstlinden zur Länggassstraße, bog ab in die Erlachstraße, ging am Café Longstreet vorbei und ein paar Schritte weiter hörte sie die Vögel zwitschern. Sie war zu Hause. In ihrer Stadtoase. Ein paar übermütige Politiker nannten diesen Stadtteil das ›Quartier Latin‹ von Bern. Man konnte leider nichts tun gegen dieses Geschwätz.
    Etwas weiter entfernt befand sich das Theodor-Kocher-Institut und in dessen Nähe die Seidenstraße, wo Lenin bei seinem Besuch in Bern sein kommunistisches Garn weitergesponnen hatte. Das war den schwatzenden Politikern etwas peinlich, deshalb rühmten sie sich bei jeder Gelegenheit umso lauthalsiger, dass Einstein, der Fachlehrer für Mathematik, in seinen sieben Bernerjahren die kreativste Denkphase erlebt habe. Im Lärm einer Großstadt wie Paris wäre ihm wohl nichts eingefallen und die Menschheit hätte es ihm nicht einmal verübeln können. Am wenigsten diejenigen, die mal in Paris waren, zur Hauptverkehrszeit und die war eigentlich sozusagen rund um die Uhr. Zum Glück war es in Bern schön ruhig damals, als Einstein da war. Man klopfte sich auf die Schultern. Die Stadt Bern hatte ihre historische Schuldigkeit getan.
    Hier, in dieser Stadtoase mit Buchen, Platanen, Buchenhecken, kleinen Vorgärten, italienischen, türkischen und asiatischen Take-aways und Restaurants war Nore Brand zu Hause. Die Hausnummer war irgendwo unter dem Efeu an der Mauer versteckt. Die Buchenhecke und der ungebändigte Kirschlorbeer nahmen jede Sicht auf das Haus. Man musste das rostige Eisentor hinter sich lassen, ein paar Schritte durch den grünen Tunnel tun und dann sah man das dreistöckige Backsteinhaus.
    Nore Brand bewohnte die erste Etage für sich allein. Große, hohe Räume, knarrende Fußböden. Eine Küche aus den 70er-Jahren. Orange und hellgrüne Wandkacheln. Die Abdeckungen aus Holz, doch die Augen fanden rasch einen erlösenden Ausweg. Das hohe Küchenfenster zeigte mitten in das Geäst der hohen Bäume. Der Bistrotisch stand richtig und das Küchendesign drang schon lange nicht mehr in ihr Bewusstsein.
    Sie setzte sich hin, zog ihre Stiefel aus und warf sie in eine Ecke. Dann eilte sie durch die Zimmer und riss Vorhänge und Fenster auf.
    Durch die lichten Äste sah sie den Turm der Pauluskirche, diese seltsame Spitzhaube mit Grünspan.
    Nore Brand dachte an die rote Klara, die Lenin so gerne aufgesucht hätte, als er in der Länggasse lebte. Doch das war vor ihrer Zeit gewesen. Als die kleine Klara das Licht der Welt erblickte, war die Revolution bereits Geschichte.
    Plötzlich erstarrte sie. Wie war es möglich, dass sie nicht längst daran gedacht hatte. Sie fluchte leise vor sich hin, riss ihr Notizbuch aus der Tasche, packte das Telefon, drückte eine Zahlenfolge und wartete.
    Eine Ewigkeit.
    Endlich meldete sich die unverkennbare Stimme des Anwalts. »Brand? Die nette Frau Brand? Wie schön, von Ihnen zu hören. Wie geht’s im alten Bern? Und? Fliegt der Teppich noch? Oder hat er inzwischen Rost angesetzt?« Sein meckerndes Lachen drang an ihr Ohr.
    »Ich habe noch eine allerletzte Frage, dann lasse ich Sie für immer in Ruhe.«
    »Schade«, schrie er zurück, der alte Schäkerer, »sehr schade.«
    »Hat Frau Ehrsam diesen Plodowski oder so ähnlich von St. Petersburg gekannt?«
    Merian kicherte. »Helles Köpfchen, diese Frau Brand aus Bern. Sie fragt tatsächlich nach dem Fossilienprofessor. Natürlich. Langjährige Kampfgefährten waren sie. Romantische Kommunisten. Aber er spezialisierte sich auf Fossilien und sie fand den Mann ihres Lebens in der Basler Chemie, heiratete ihn und wurde Millionärin. So wie das Leben eben so spielt. Aber der Fossilienprofessor und die Millionärin blieben in tiefer Freundschaft verbunden. Das gab es früher noch. Klara wollte unbedingt noch einmal zu ihm.«
    »Ging es um das Bernsteinzimmer?«
    »Bernsteinzimmer? Ja, das Bernsteinzimmer. Eine schreckliche Geschichte. So ungefähr. Ja. So ungefähr«, wiederholte er brüllend vor Vergnügen, »na, weil Sie die richtige Frage stellen, will ich Sie auch belohnen. Plodowski hat Klara zu seiner letzten großen Ausstellung eingeladen. Sie hat ihn schließlich ihr Leben lang unterstützt. Als seine kommunistischen Lehr- und Wanderjahre vorbei waren, konzentrierte er sich auf die Geologie. Und …« Merian machte eine bedeutungsvolle Pause. »Und fand vieles, aber nicht das Bernsteinzimmer. Das ist
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