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Matharis Kinder (German Edition)

Matharis Kinder (German Edition)

Titel: Matharis Kinder (German Edition)
Autoren: Bernadette Reichmuth
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Brüdern und Schwestern das Willkommensgeschenk darbringen.“ 
    Es gab viele Regeln bei den Blumenhütern. Eine davon gebot, bei einem Besuch dem Gastgeber eine Mathari- Kapsel zu schenken.                      
    Inzwischen hatte Pariko begonnen, das Zelt auf dem Boden auszubreiten. Auch nach drei Tagen war Torian aus seinem schweigsamen Gefährten nicht schlauer geworden. Das runde Gesicht des Wandlers schien keinen anderen Ausdruck zu kennen als schläfrige Gleichgültigkeit. Torian hatte mehrmals versucht, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Da er als Antwort jedoch nur unverständliches Brummen erhielt, gab er seine Bemühungen bald auf.
    Während Torian half, das Zelt aufzustellen, faltete Janael mit behutsamen Fingern eine brüchig gewordene, fleckige Lederhaut auseinander. Vor dreißig Jahren hatten die darauf eingebrannten Linien und Zeichen ihm den Weg aus Lopunien gezeigt. Nun würden sie ihn zurückführen in seine Heimat. 
     
    Der anstrengendste Teil der ganzen Reise war ein Marsch durch Fels, Eis und Schnee, der ihnen das Äußerste an Anstrengung abverlangte und ihre letzten Kraftreserven aufzehrte.
    Janaels Schritte wurden zusehends langsamer. Seine Jahre begannen nun doch ihren Tribut zu fordern. Trotzdem blieb er an der Spitze des kleinen Zuges. Er taumelte, tat schließlich beinahe einen verhängnisvollen Fehltritt. Als hätte ihn eine grausame Macht dazu verdammt, bis in alle Ewigkeit zu laufen, stolperte er weiter.
    Pariko handelte als Erster. Mit schwungvoller Bewegung warf er seinen Rucksack hinter sich, exakt vor Torians Füße. Dann griff er nach Janaels Schulter und zwang ihn zum An halten. 
    „Steig auf meinen Rücken, Alter. Wenn du schlapp machst, kannst du uns den Weg nicht mehr zeigen.“ Und sich halb umdrehend zu Torian: „Wirst wohl eine Weile meinen Rucksack mittragen müssen. Wir können uns ja von Zeit zu Zeit abwechseln.“
    Gleich darauf hing Janael an der Rückseite des Wandlers.
    Torian beeilte sich, den Rucksack aufzuladen.
    Es dauerte weitere vier Stunden, bis sie eine Stelle erreichten, wo sie das Zelt aufbauen konnten. Ohne einen Wechsel vorzuschlagen, hatte Pariko den alten Mann die ganze Zeit getragen. Torian war dies nur recht. Er wusste nicht, was schwerer wog: die beiden Rucksäcke, die er schleppte, oder Janaels langer, hagerer Körper. Noch vor zehn Tagen wäre es für jeden Blumenhüter undenkbar gewesen, einen Alten wie einen Mehlsack auf dem Rücken zu befördern.
    Wenn die Beine eines Greises oder einer Greisin ihren Dienst nicht mehr leisten konnten, wurde er oder sie auf dem Sitz getragen. Der Sitz , das war ein tragbarer, reich verzierter Stuhl. Er wurde in jahrelanger Arbeit von den jüngeren Männern einer Familie gefertigt.
    Doch vor zehn Tagen hatte sich alles geändert. In einer einzigen Nacht waren alle Regeln, alle Bräuche – und alle Sitze hinweg geschwemmt worden. Seither waren überall huckepack getragene Alte zu sehen. Torian hatte sich trotzdem nicht an den Anblick gewöhnen können.   
    Nachdem die drei Reisenden das Zelt aufgestellt hatten, zogen und schoben der Wandler und sein junger Gefährte den zähneklappernden, halb steif gefrorenen Alten in den Unterschlupf und wärmten ihn zwischen ihren Körpern.
    In der klirrend kalten Nacht fand keiner der Drei viel Schlaf. Immerhin hatte sich Janael am nächsten Morgen soweit erholt, dass er wieder auf eigenen Beinen laufen konnte.
    Nach wenigen, schweigend ausgeführten Hand griffen waren sie bereit für das letzte Wegstück zur lopunischen Grenze.  
    Am frühen Nachmittag Tag erreichten sie die letzte, schneebedeckte Erhebung vor dem Abstieg.
    Lopunien!
    Zuerst sahen sie nichts als ausgedehnte, zartgrüne Felder. Dazwischen lagen ausgestreut wie Kiesel Häuser, Ställe, Scheunen. In der Mitte des Tales wand sich das blinkende Band eines Flusses einem fernen Horizont entgegen.
    Über sanft geschwungenen Hügeln breiteten sich dichte Wälder aus. Das dunkle Blaugrün der Bäume war durchsetzt von frischen, hell leuchtenden Trieben. In Lopunien hatte ein saftiger, kraftvoller Frühling Einzug gehalten.  
    Dann entdeckten die drei Blumenhüter die Mauer.
    Dicht an den Fuß der Bergkette war sie gebaut. Aus Steinen, schwärzer, als jeder gewöhnliche Stein hätte sein können. Schwärzer als alles, was je aus dem Leib der Großen Mutter geboren worden war. Eine Würgeschlange aus verdichteter Finsternis ohne Anfang, ohne Ende umschlang das blühende Land.
    Torian
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