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Maschinenkinder

Maschinenkinder

Titel: Maschinenkinder
Autoren: Shayol Verlag
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bis auf euch beide.« Er reckte das Kinn, presste die Lippen zusammen.
    Erst jetzt goss Paul die Suppe in den Teller; davor hatte er reglos gewartet, den Kellenstiel lose in der Hand. »Wo sind wir gewesen?«, flüsterte er.
    Zu seiner Überraschung gab Lisa ihm Antwort: »Meine Eltern hatten die Koffer gepackt und im Salon abgestellt. Das Grammophon spielte noch – schnell mussten wir das Haus verlassen, ich aber bin rauf ins Kinderzimmer, um meine Puppe zu holen, die auf dem Bett lag. Als ich runterkam, die Treppe hat gezittert und es war ein Geknalle wie von Schwefelböllern, stand unser Gepäck allein im Raum. Sofort bin ich raus auf den Hof, vielleicht stiegen sie ins Automobil ohne mich, doch niemand war da, weder Mama noch Papa und auch der Hund nicht. Dann bin ich weiter gerannt, auf die Straße … und fast über dich gestolpert. Du lagst mitten auf dem Bordstein. Erst lief ich an dir vorbei, ich hatte so Angst, aber ich hab kehrtgemacht nach ein paar Metern und dich aufgehoben und mit mir getragen; warum, weiß ich nicht mehr. Ach, warst du schwer! Bis zum Hoftor konnte ich dich noch weiterschleppen, dann wurden meine Knie weich und ich hab mich einfach auf den Boden gesetzt und geweint und nach meinen Eltern gerufen – wie lange, kann ich nicht sagen, nur dass es dunkel wurde um uns rum.«
    Sie schaute Rhombus an, der ihr zunickte:
    »Und dort fand ich euch schließlich, und seitdem sind wir beisammen.«
    Mit einer Hand schob Paul den Teller von sich weg. Er dachte nach. »Ich wüsste so gern, wer meine Eltern waren«, sagte er leise. »Und wieso sind alle tot, außer uns?«
    »Das ist verdammt schwer zu erklären«, antwortete Rhombus und stapelte den Teller auf seinen.
    »Bitte«, flehte Paul. »Erzähl es mir endlich.«
    ***
    Als Lisa den Tisch abräumte, holte Rhombus einen Stift und einen Block aus seiner Kammer und begann darauf zu zeichnen – viele kleine leere Kreise. »Die Bombe hat nicht nur das Land draußen zerstört«, erklärte er, »sie hat die Wirklichkeit auseinander gesprengt. Aus einer einzigen Welt, aus unserer Welt mit unserer Zeit, sind viele weitere geworden, jede für sich abgeschottet von den anderen.« Er tippte auf einen Kreis. »Weißt du, ich glaube nicht, dass die Menschen beim Angriff gestorben sind. Vielmehr ist es wohl so: Hier sind wir, wir drei, und vielleicht noch wenige Menschen mehr, außerhalb der Kuppel, in einer anderen Stadt.« Er tippte auf einen zweiten. »Und hier sind wieder welche drin, möglicherweise eure Eltern, meine Frau oder der Bürgermeister, eine Gruppe von Zinnsoldaten, wer weiß.« Die Spitze des Bleistifts sprang von Kreis zu Kreis. »Und hier sind welche, und hier drin auch und da und da … Verstehst du?«
    »Weiß nicht so recht«, flüsterte Paul, der gebannt auf die Kreise starrte. Was malte der Alte da?
    »Junge, ich sagte doch, dass es schwer ist. Also streng dich an!« Rhombus kritzelte Pfeile aufs Blatt. »Aber diese Welten, sie bewegen sich, mal aufeinander zu, mal voneinander weg. Je näher sie sich kommen, desto stärker wird die Phase, bis ihre Ränder sich kurz berühren, dann stoßen sie sich wieder ab wie Magneten … und die Beben werden schwächer. Aber da ist noch etwas …« Grob füllte er den weißen Zwischenraum mit schnellen Strichen aus; auch Lisa sah ihm dabei zu.
    »Dort, wo jetzt schwarz ist, klafft eine ganz andere Welt wie ein tiefes dunkles Loch. Eine Zwischenwelt, eine … Geisterwelt, die mit unserer nichts gemein hat. Und fremde Wesen leben darin, du kennst sie: Feuerfalter, Würmer und diese Geistervögel. Fremde Pflanzen auch, wie die Pilze, die Lisa oben in der Holzkiste züchtet. Sie gehören nicht hierher. Das sind bloß Vermutungen, obwohl ich viel gerechnet habe in den letzten Jahren. Ich glaube, als die Bombe zündete, hat sie einen großen Riss gesprengt, durch den die Geisterwelt zu uns hereingequetscht wird, wenn die Phase näher rückt – verstehst du, wie Schuhcreme aus einer Tube. Hoffen wir also, dass nichts Schlimmeres durchbricht als diese verdammten blauen Sporen. Junge, was ist?«
    Pauls Schultern zitterten.
    Rhombus’ Worte hatten ihn so aufgewühlt, dass er nicht mehr auf dem Stuhl sitzen konnte. Er sprang auf. »Dann sind sie also gar nicht gestorben?«, stieß er hervor, während er langsam zurückwich, weg von ihnen, rückwärts zur Haustür. »Ihr habt mich angeschwindelt! Miese Lügner seid ihr.«
    »Junge, du kapierst nicht ...«
    »Oh doch, ich kapiere sehr wohl!«, brüllte er und
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