Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maschinenkinder

Maschinenkinder

Titel: Maschinenkinder
Autoren: Shayol Verlag
Vom Netzwerk:
hatte die Klinke schon in der Hand. »Meine Eltern leben, und ihr habt gesagt, sie sind tot. Ich hasse euch!«
    »Ruhig, Paul. Lass es dir erklären.« Lisa legte das Spültuch beiseite und kam auf ihn zu, doch Paul wandte sich ab, schlug die Tür auf und stürzte hinaus, ohne sich umzudrehen, die Treppen runter. Unten, auf den letzten Stufen, breitete er seine Arme aus, rannte, so schnell er nur konnte – und sprang, wobei er das Geräusch eines Propellers nachmachte. Wegfliegen! Fort von hier. Alles hinter sich lassen.
    Beim Landen verlor er einen Schuh; knickte mit dem Fuß weg, fiel auf die Knie, dann auf die Hände.
    Tränen brannten in seinen Augen.
    ***
    Ohne Laterne, dafür war ihm der Hund nachgefolgt, löste Paul das Boot vom Steg und paddelte in die Nacht hinaus. Nie wieder wollte er umkehren, nie mehr.
    Beidseits des Kanals wuchsen Feuerbeeren, hier und dort, winzige Leuchtmarken, und so konnte er Kurs halten, obwohl das Wasser tiefschwarz war. Die feuchte Luft ließ ihn schwer atmen, weil die Häuser näherrückten: ein Grabgeruch zwischen den engen hohen Wänden – die Erdgeschosse überflutet, Möbel und Teppiche verfault, die Tapeten verschimmelt; loses Geschirr am Grund verstreut. Auf Augenhöhe sah Paul einen Kronleuchter hängen; und da war ein Porträt, von eisblauem Moos befleckt: ein Geistergesicht; und es gruselte ihn so sehr, dass er schneller paddelte.
    In der Stille hörte er Wasser tröpfeln.
    Je weiter er in die Schatten vordrang, desto dunkler wurde es ringsum; noch glühten ein paar Beeren, aber dann wurden die Ufer schwarz, als hätte ein Gas alles Licht erstickt.
    Paul hustete.
    Er machte Rückwärtsschläge, um das Boot zu bremsen. »Runter mit dir, du Faulpelz«, sagte er zu Ludwig, der auf der Munitionskiste döste; und der Hund trollte sich, kletterte unter das Dollbord, wo er sich schnaufend hinlegte. Eins der Wolfsaugen glänzte, verschwand.
    Von oben drang noch ein Schimmern durch die Asche, ein kleiner, glühender Riss – plötzlich verblasst wie ein Glühdraht ohne Strom, und Paul sah die Hand vor Augen nicht mehr, als er die Kiste öffnete und ihren Inhalt durchwühlte: Verbandszeug. Eine Schere. Ein Lappen. Draht. Eine Leuchtpistole. Und die Phosphorstäbe, nach denen er gesucht hatte.
    Es war stockfinster geworden.
    Vorsichtig nahm er eins der Glasröhrchen heraus, knickte die Plombe ab und wartete, bis die chemische Reaktion begann: Lautlos ging der Phosphor in Flammen auf. Paul zählte bis drei, ehe er den Stab im hohen Bogen zum Ufer warf. Ein Klirren, ein Splittern. Worauf Feuerschein auf den Fassaden tanzte.
    Am Ende der Häuserreihe gabelte sich der Kanal und floss zum Marktplatz, dahinter lagen die Katakomben, der Echosee – und rechts entlang zum alten Bahnhof, der höher gelegen und trocken war. Da Rhombus ihm aufgetragen hatte, nach Benzin zu suchen, ließ er das Boot auf den dunkleren Seitenarm zudriften. Ob der Alte seine Eltern herholen konnte, überlegte er, aus den Kreisen zwischen den Strichen? Wurde dafür das Lichtwerk gemacht? Funktionierte die Maschine überhaupt? Oder war das alles bloß ein Schwindel?
    »Miese Lügner«, zischte er, wieder zornig auf beide. Nein, er würde nicht umkehren, sondern eine eigene Hütte bauen, irgendwo in den tiefsten Schatten. Sie würden ihn nicht finden. Dann konnte er Pilze züchten und nach Konserven suchen; außerdem war Ludwig bei ihm, er hatte also einen Freund.
    Doch erst wollte Paul etwas nachprüfen …
    Kräftiger zog er das Paddel durch, steuerte das Boot unter Rohren hindurch, die einst zum geschlossenen Wassersystem gehörten, aber längst verrostet und aufgebrochen waren: Aus den Löchern sickerte eine stinkende Brühe.
    Der Kanal weiterte sich, bis er mit dem Vorplatz des Bahnhofs verschmolz; alles war meterhoch überflutet – die Hallen und Lokschuppen ringsum umschlossen ein Becken, in dem sich das Treppenportal spiegelte; noch höher die gläsernen Pforten. Das ganze Gebäude erweckte den Eindruck, als wäre es eine Gartenlaube von riesigen Ausmaßen. Innen ein rötliches Licht.
    Nochmals warf Paul einen Leuchtstab zum Ufer, der aber nicht weit genug flog, sondern ins Wasser fiel und versank wie ein Stern, hell funkelnd … Kurz tauchte am Grund eine Trambahn auf, die auf ihrem Gleis schlief, unten, in der grünen Tiefe.
    Und Schwärze.
    Nach einem langen Schlag ließ Paul das Boot ausgleiten und kletterte von Bord. Sein Fuß schmerzte, als er auftrat, der Knöchel war geschwollen. Trotzdem packte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher