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Mars Trilogie 1 - Roter Mars

Mars Trilogie 1 - Roter Mars

Titel: Mars Trilogie 1 - Roter Mars
Autoren: Kim Stanley Robinson
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und wurden so zu fundamental anderen Wesen.«
    Lauter Lügen, dachte Frank Chalmers ärgerlich. Er saß unter einer Reihe von Würdenträgern und verfolgte, wie sein alter Freund John Boone seine übliche Anfeuerungsrede hielt. Die stimmte Chalmers mißmutig. Die lange Reise zum Mars hatte sich in Wahrheit so ausgewirkt wie eine endlose Eisenbahnfahrt. Sie waren nicht nur zu gründlich anderen Wesen, sondern tatsächlich ihrer selbst ähnlicher geworden denn je. Sie waren aller Gewohnheiten entblößt worden, bis nur noch das nackte Rohmaterial von ihnen übrig geblieben war. Aber John stand auf, richtete einen mahnenden Zeigefinger auf die Menge und sagte: »Wir sind hierher gekommen, um etwas völlig Neues zu tun; und als wir eintrafen, sind unsere irdischen Differenzen weggefallen, die in dieser neuen Welt irrelevant sind!«. Jawohl, er meinte das alles wörtlich. Seine Vision vom Mars war eine Linse, die alles verzerrte, was er sah, eine Art von Religion.
    Chalmers hörte nicht mehr hin und ließ seinen Blick über die neue Stadt schweifen. Sie würden sie Nicosia nennen. Es war die erste Stadt von nennenswerter Größe, die auf der Marsoberfläche freistehend erbaut werden sollte. Alle Gebäude befanden sich innerhalb von etwas, das praktisch ein ungeheuer großes durchsichtiges Zelt war, getragen von einem fast unsichtbaren Rahmen und errichtet auf der Anhöhe von Tharsis, westlich von Noctis Labyrinthus. Dieser Standort lieferte eine gewaltige Aussicht, mit einem Horizont, der im Westen durch den breiten Gipfel von Pavonis Mons markiert war. Für die Marsveteranen in der Menge war es berauschend: Sie waren heraus aus den Gräben und Mesas und Kratern und konnten für immer etwas sehen! Hurra!
    Ein Lachen im Publikum richtete Franks Aufmerksamkeit wieder auf seinen alten Freund. John Boone hatte eine etwas heisere Stimme und einen angenehmen Akzent des Mittelwestens; und er war abwechselnd (und manchmal alles zugleich) entspannt, angestrengt, ergeben, selbstkritisch, bescheiden, vertrauensvoll, ernsthaft und spaßig. Kurzum - der perfekte öffentliche Redner. Und die Hörerschaft war hingerissen. Es war der erste Mensch auf dem Mars, der zu ihnen sprach; und nach ihren Mienen zu urteilen, hätten sie ebensogut zuschauen können, wie Jesus ihnen ihr Abendessen aus Broten und Fischen erzeugte. Und John verdiente wirklich fast ihre Verehrung, weil er auf einem anderen Planeten ein ähnliches Wunder vollbrachte, indem er ihr auf Konservendosen beruhendes Leben in eine erstaunliche geistige Reise verwandelte. »Auf dem Mars wird es so sein, daß wir mehr denn je zuvor uns umeinander kümmern«, sagte John. Das bedeutete, wie Chalmers dachte, einen alarmierenden Fall jener Art von Verhalten, wie man sie bei Experimenten mit Überbevölkerung an Ratten beobachtet hat. John sagte: »Der Mars ist ein erhabener, exotischer und gefährlicher Ort«, wobei er eine gefrorene Kugel aus oxidiertem Gestein meinte, auf der sie etwa fünfzehn Rem {1} jährlich ausgesetzt waren. »Und mit unserer Arbeit«, fuhr er fort, »gestalten wir eine neue soziale Ordnung und den nächsten Schritt in der Geschichte der Menschheit«, also die jüngste Variante in der Dynamik der Vorherrschaft von Primaten.
    John schloß mit dieser Floskel, und es gab natürlich ein riesiges Beifallsgebrüll. Dann betrat Maya Toitovna das Podium, um Chalmers vorzustellen. Frank warf ihr einen privaten Blick zu, der besagte, daß er keineswegs in Stimmung war für einen ihrer Scherze. Sie sah das und sagte: »Unser nächster Redner ist der Treibstoff in unserem kleinen Raketenschiff gewesen«, was irgendwie ein Lachen hervorrief. »Seine Vision und Energie sind es, was uns in erster Linie zum Mars gebracht hat; also sparen Sie sich jegliche Beschwerden, die Sie für unseren nächsten Sprecher haben mögen - meinen alten Freund Frank Chalmers.«
    Auf dem Podium war er selbst davon überrascht, wie groß die Stadt wirkte. Sie bedeckte ein langes Dreieck; und sie waren auf dessen höchstem Punkt versammelt, einem Park, der seinen westlichen Scheitel einnahm. Sieben Wege verliefen strahlenförmig nach unten durch den Park, um zu breiten, von Bäumen gesäumten und mit Gras bewachsenen Boulevards zu werden. Zwischen den Boulevards standen niedrige, trapezförmige Gebäude, deren jedes mit polierten Steinen unterschiedlicher Farben verkleidet war. Größe und Architektur verliehen den Bauten ein leicht pariserisches Aussehen - von Paris, wie es ein Betrunkener
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