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Marina.

Marina.

Titel: Marina.
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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zurückgab.
    »Du hast sie mitgenommen, also sollst auch du sie ihrem Eigentümer zurückgeben.«
    »Aber …«
    »Die Uhr gehört nicht mir«, erklärte sie. »Sie gehört Germán.«
    Die Nennung dieses Namens beschwor die riesige Silhouette mit der weißen Mähne herauf, die mich einige Tage zuvor in der Galerie des alten Hauses überrascht hatte.
    »Germán?«
    »Mein Vater.«
    »Und du bist …?«, fragte ich.
    »Seine Tochter.«
    »Ich meine, wie du heißt.«
    »Ich weiß ganz genau, was du meinst.«
    Und sie stieg wieder aufs Rad und fuhr durchs Tor. Bevor sie sich im Garten verlor, wandte sie sich kurz um. Ihre Augen lachten mich lauthals aus. Ich seufzte und folgte ihr. Eine alte Bekannte hieß mich willkommen. Die Katze schaute mich mit ihrer üblichen Verachtung an. Gern wäre ich ein Dobermann gewesen.
    Eskortiert von dem Tier, ging ich durch den Garten, bahnte mir einen Weg durch den Dschungel bis zu dem Brunnen mit den Cherubim. Dort war das Rad angelehnt, und seine Eigentümerin hievte eine Tüte aus dem Korb am Lenker. Es duftete nach frischem Brot. Sie zog eine Flasche Milch aus der Tüte und kniete nieder, um eine große Tasse auf dem Boden zu füllen. Das Tier schoss auf sein Frühstück zu. Das schien ein tägliches Ritual zu sein.
    »Ich dachte, deine Katze frisst nur wehrlose Vögel«, sagte ich.
    »Er jagt sie bloß. Er frisst sie nicht. Das ist eine Frage des Territoriums«, erklärte sie, als hätte sie ein Kind vor sich. »Was er wirklich mag, ist Milch. Nicht wahr, Kafka, Milch schmeckt dir?«
    Zum Zeichen der Zustimmung leckte ihr das kafkaeske Katzentier die Hand. Sie lächelte warm, während sie ihm den Rücken streichelte. Dabei zeichneten sich in den Falten des Kleides ihre Muskeln ab. Nun schaute sie auf und ertappte mich dabei, wie ich sie anstarrte und mir mit der Zunge über die Lippen fuhr.
    »Und du? Hast du gefrühstückt?«, fragte sie.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Dann hast du bestimmt Hunger. Dummköpfe haben immer Hunger«, sagte sie. »Komm rein und iss was. Es wird gut sein, etwas im Magen zu haben, wenn du Germán erklären willst, warum du ihm die Uhr gestohlen hast.«
     
     
    Die Küche war ein großer Raum im hinteren Teil des Hauses. Mein unerwartetes Frühstück bestand aus Hörnchen, die das junge Mädchen aus der Konditorei Foix auf der Plaza de Sarriá mitgebracht hatte. Sie stellte eine riesige Tasse Milchkaffee vor mich hin und setzte sich mir gegenüber, während ich gierig diesen Festschmaus verzehrte. Sie betrachtete mich, als hätte sie einen hungrigen Bettler aufgenommen, mit einer Mischung aus Neugier, Mitleid und Argwohn. Sie selbst rührte keine Krume an.
    »Ich hab dich schon mal in dieser Gegend gesehen«, bemerkte sie, ohne mich aus den Augen zu lassen. »Dich und diesen kleinen Jungen mit dem verschreckten Gesicht. Oft geht ihr durch die hintere Straße, wenn man euch im Internat freilässt. Manchmal bist du allein und trällerst geistesabwesend vor dich hin. Ich könnte wetten, ihr habt einen Mordsspaß in diesem Kerker …«
    Eben wollte ich etwas Geistreiches antworten, als sich ein mächtiger Schatten wie eine Tintenwolke auf dem Tisch ausbreitete. Meine Gastgeberin schaute auf und lächelte. Ich blieb reglos sitzen, den Mund voller Hörnchen, der Puls zwei Kastagnetten.
    »Wir haben Besuch«, verkündete sie amüsiert. »Papa, das ist Óscar Drai, Amateuruhrendieb. Óscar, das ist Germán, mein Vater.«
    Ich schluckte alles auf einmal hinunter und wandte mich langsam um. Vor mir erhob sich eine Gestalt, die mir riesig erschien. Der Mann trug einen Anzug aus Alpakawolle mit Weste und Fliege. Eine säuberlich zurückgekämmte Mähne fiel ihm über die Schultern. Ein weißer Schnurrbart zierte sein Gesicht, das um zwei dunkle, traurige Augen herum von scharfen Linien durchfurcht war. Was ihn aber wirklich ausmachte, waren seine Hände. Weiße Engelshände mit schmalen, endlosen Fingern. Germán.
    »Ich bin kein Dieb …«, presste ich nervös heraus. »Es gibt für alles eine Erklärung. Wenn ich es gewagt habe, in Ihr Haus einzudringen, dann, weil ich glaubte, es sei unbewohnt. Ich weiß auch nicht, was dann mit mir geschah, als ich drin war, ich hörte diese Musik, nun, äh, jedenfalls kam ich herein und sah die Uhr. Ich wollte sie eigentlich gar nicht mitnehmen, ich schwör’s Ihnen, aber ich bin erschrocken, und als ich sah, dass ich die Uhr hatte, war ich schon weit weg. Also, ich weiß nicht, ob ich mich klar ausdrücke …«
    Das
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