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Mariana

Mariana

Titel: Mariana
Autoren: Monica Dickens
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Scheibe der Telefonzelle beobachten würde. Halb neun. Das Dienstmädchen würde Angela wecken, die noch schlaftrunken in ihrem großen, seidenbespannten Bett lag. Ob sie es schon wußte oder ob sie — Mary — es ihr erst sagen mußte? Mindestens eine halbe Stunde würde es dauern, bis sie angezogen war und mit dem Wagen durch den Regent’s Park, den Hyde Park, am Eaton Square vorbei in der Marguerite-Street sein konnte. Sie würde durch die Hintertür ins Haus schlüpfen, die Treppe hinaufgehen, das Telegramm von der Matte an der Vordertür aufheben und Mary auf dem Postamt in Weatherby anrufen.
    «Ihr Gespräch, Mrs. Howard», würde Mrs. Mundays Tochter aus dem Hinterzimmer, in dem sich der Klappenschrank befand, rufen, und Mary würde aufhören, die Bekanntmachungen über Jagdlizenzen und einen entlaufenen, kleinen schwarzweißen Terrier zu studieren, sie würde in die Telefonzelle gehen, um zu erfahren, was sie bereits wußte.
    Wie hieß es in dem Gedicht?

    «Ich bin traurig, ach, er wird nicht kommen,
    klagte sie in ihres Herzens Not —»

    Ja, so war ihr zumute. Sie wußte es. Man konnte mit einem Menschen nicht so eng verbunden sein, wie sie es mit Sam gewesen war, ohne so etwas zu wissen. Wenn sie jemals etwas ganz bestimmt gewußt hatte, dann war es dies — daß er nicht zurückkommen würde.

    «— - und von Tränen war ihr Blick verschwommen, und sie seufzte, wär ich doch nur tot.»

    Aber Marina hatte nicht recht. Man konnte nicht einfach sterben, man mußte weiterleben. Man wurde geboren mit dem Glauben an sich als Einzelwesen, und man war gezwungen, sich diesen Glauben zu bewahren. Er war etwas sehr Kostbares. Alle Ereignisse im Leben, wie eng sie auch immer mit anderen Menschen verknüpft waren, entwickelten und stärkten die Individualität. Man wurde ein Mensch.
    Was im Leben auch geschieht, nichts kann an der Tatsache etwas ändern, daß ich bin..., und es immer bleiben muß. Und jetzt gibt es nur noch mich.
    Wie seltsam, daß sie nicht weinte. Wenn sie jetzt nicht weinen würde, dann wäre es ein voller Monat seit dem letzten Mal. Aber es war niemand mehr da, der ihr ein Pfund dafür geben würde, also kam es gar nicht darauf an, ob sie weinte oder nicht.
    Der Hund draußen in der Heide hatte wieder ganz sinnlos zu bellen angefangen.
    «Schon gut, Bingo», sagte Mary, als der kleine Terrier plötzlich hellwach den Kopf hob, «schon gut. Er meint dich nicht.»
    Der Hund hörte auf zu bellen, aber Bingo lauschte noch. Sie fühlte, wie sein Körper sich straffte. Bingo, du darfst nicht auf Sam warten. Das ertrage ich einfach nicht.
    Sie stieg aus dem Bett. Ihr Kopf, ihre Augen, ihr Körper, alles tat ihr weh, und sie war von bleierner Schwere nach der schlaflosen Nacht. Sie ging zum Fenster und spähte hinaus, ihre Zähne klapperten vor Kälte. Der Wind hatte nachgelassen, aber der Regen strömte so gleichmäßig herab, als wolle er das Marschland wieder in Wasser verwandeln. Es war noch dunkel, aber über dem Meer zeigte sich, wenn auch zögernd, ein hellerer Schein.
    Sie machte Licht, holte sich das Ölöfchen aus dem Fremdenzimmer und zog sich in seiner Nähe an. Aber es war hoffnungslos, sie konnte sich nicht erwärmen, selbst nicht mit langen Hosen und zwei dicken Pullovern. Es war eine Kälte, die von innen kam. Deshalb schlugen ihre Zähne immer weiter aufeinander.
    Sie band sich ein rotes Tuch um den Kopf und ging hinunter. Um ihren Regenmantel zu holen, mußte sie den Schrank, der neben dem Eingang stand, öffnen.
    Das würde das Schlimmste sein. Denn dort hingen seine Sachen.
    Sie hörte Bingo in der Küche Wasser schlabbern, als habe er seit einer Woche nichts mehr getrunken. Viertel vor acht. Sie müßte jetzt gehen, es konnte sein, daß der Bus früher kam. Das tat er zwar nie, aber sicher war sicher.
    «Komm, Bingo, Gassi gehen.» Der Hund kam über den Dielenboden angesaust, und sie gingen zusammen in den triefend nassen Garten hinaus. Es war noch immer stürmisch. Der Wind zerrte an ihrem Mantel, und der eisige Regen schlug ihr ins Gesicht, während sie den Feldweg entlanggingen und durch die Pfützen tapsten. Es war kein belebendes, erfrischendes Sich-durchpusten-Lassen. Die äußere Nässe traf auf die innere Kälte, und Mary kam sich klein und zusammengeschrumpft vor.
    Auch Bingo war zusammengeschrumpft. Jetzt, wo sein dickes Fell naß und verklebt war, war er nur noch halb so groß wie sonst. Als sie zur Kreuzung kamen, hob Mary ihn hoch. Seine Rippenbögen fühlten sich
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