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Mariana

Mariana

Titel: Mariana
Autoren: Monica Dickens
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und schritten durch die jubelnde Menschenmenge, die aus einem kleinen Mädchen mit verbeulter Nickelbrille, das einen Kinderwagen schob, und einem verächtlich dreinblickenden Botenjungen bestand, der Koteletts liefern sollte, die irgendwo dringend zum Mittagessen gebraucht wurden.
    Es hatte aufgehört zu regnen, trotz der gegenteiligen Prophezeiungen von Doris. Im Auto saß Mary kerzengerade und wechselte ab und zu geistesabwesend ein paar Worte mit Großpapa. Der fingerte immer wieder an der Perle in seiner Krawatte und sah knurrend auf die Uhr, die er aus seiner Westentasche zog. Seine Hand, die die ihre hielt und Linneys breite Schultern in der roten Uniform waren das einzige Vertraute in dieser ungewohnten Situation.
    Als sie durch den Park fuhren, waren die Gewitterwolken bereits über Marble Arch abgezogen. Vielleicht würde sogar noch die Sonne scheinen. Wenn Sam nun nicht da wäre? Es war durchaus nicht ohne weiteres anzunehmen, daß er da war. Es konnte ja etwas passiert sein. Als sie an der Ampel stoppten, starrten Leute vom Trottoir ins Auto, und einer sagte: «Sieh mal, Gwen, eine Braut.» Die Sonne versuchte durchzukommen. Eine Gardenie wurde schon ganz welk. Das arme Ding. Kein Wunder, wenn der Stengel mit Draht umwickelt war.
    Das Auto hielt ganz vorsichtig, wie um den Zeitzünder nicht auszulösen.
    Großpapa räusperte sich. «Wir sind da», sagte er und zwängte sich mühsam durch die Tür. Mary stieg nach ihm aus. Was wollten denn all die Leute hier? Die konnten doch nicht ihretwegen gekommen sein. Entweder war das die falsche Kirche, oder es handelte sich um das Begräbnis eines Ministers — aber nein, da lag ja der rote Läufer. Bitte warte auf mich, Großpapa. Für einen Augenblick nahm sie rechts und links von sich ein paar Gesichter wahr, hörte, wie die Leute den Atem einzogen und gerührt flüsterten: «Sieht sie nicht bezaubernd aus?» und dann stand sie schon im Dunkel der Kirche. Auf dem freien Raum hinter den letzten Bänken schwirrte eine Schar aufgeregter Frauen hin und her. Sie sagten ihr, wie sie sich neben Großpapa stellen solle, zupften an ihrem Schleier und legten ihre Schleppe zurecht. Da war ja auch Sybil, stellte sie überrascht fest. Sie drehte sich nach ihren Brautjungfern um. Da standen sie, in wogendem weißem Chiffon. Angela sah unbeschreiblich schön aus, Margaret blickte ernst und ein bißchen unglücklich drein, und ihr Kränzchen saß schief. Angela warf ihr einen aufmunternden Blick zu, und dann, gerade als Mary sich wieder nach vorn wandte und die gewaltig anschwellende Orgelmusik als Brautmarsch aus dem erkannte, tätschelte Großpapa ihre Hand, die auf seinem Arm lag.
    «Gott segne dich, mein Püppchen», flüsterte er, und sie setzten sich in Bewegung.
    Sie durfte jetzt nicht weinen. Ach, Großpapa, warum mußtest du das sagen? Alles verschwamm vor ihren Augen, als sie an den sich verstohlen umwendenden Köpfen vorbeischritten. Ein Flüstern, wie das Rascheln des Windes im Schilf, lief vor ihr her: «Sie kommt, sie kommt.»
    Der Augenblick der Rührung ging glücklich vorbei, und die Tränen versiegten ebenso schnell, wie sie ihr gekommen waren. Plötzlich sah sie Sam. Wußte er, daß sie kam? Sam, hier bin ich. Als sie neben ihn trat, wobei sie nicht wagte, ihn anzusehen, setzte die Orgel zum kraftvollen Finale ein. Sam, Sam, hier bin ich. Großpapa trat zurück, und der dicke Priester in seiner weißen Soutane machte einen Schritt auf sie zu.

    Der Versuch, ihre Eindrücke von der Hochzeit zu ordnen, kam dem Versuch gleich, Ordnung in ein Kaleidoskop zu bringen. Die größte Überraschung für sie war, daß Sam eigentlich Samson hieß. Für den Rest des Tages konnte sie sich von diesem Schock nicht mehr erholen. Immer wieder fiel es ihr zwischendurch ein, und noch in aller Frühe am nächsten Morgen, kaum daß sie wach war, beschwerte sie sich: «Warum hast du mir nicht gesagt, daß du Samson heißt?»
    «Wäre dir Samuel lieber gewesen?» fragte er, und dann prusteten sie in die Kissen, weil im Zimmer nebenan jemand wohnte, der dauernd an die Wand klopfte.
    Alle möglichen Bilder, kunterbunt durcheinandergewürfelt, tauchten wieder vor ihr auf:
    Tante Mavis riesiger Hut, der aus unerforschlichen Gründen lila war.
    Denys, dem sie plötzlich ganz kühl und gelassen gegenüberstand. Komisch, eigentlich war er gar nicht sehr attraktiv. Er hatte Charme und sah ganz gut aus, aber sein Gesicht war nicht männlich genug, seine Züge waren unbedeutend.
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