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Mari reitet wie der Wind

Mari reitet wie der Wind

Titel: Mari reitet wie der Wind
Autoren: Federica de Cesco
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und ging mit Sattel und Zaumzeug ins Meer. Als ihr der Schaum an die Schenkel schlug, warf sie beides ins Wasser. Ein paar Minuten lang schaukelte der Sattel in den dunklen Wellen. Dann trug ihn die Strömung fort, der offenen See entgegen. Mari watete an den Strand. Fröstelnd zog sie ihre Jeans wieder an. Gerade als sie ihre nassen Füße in die Turnschuhe zwängte, durchbrach ein krachendes Geräusch die Stille. Ein klagendes Muhen stieg aus dem Dickicht, gefolgt von dem erstickten Blöken eines Kalbes. Paloma bewegte nervös die Ohren. Mit der Spitze ihrer Nägel kraulte Mari leicht und zärtlich über Palomas Stirn. »Warte . . . ich bin gleich wieder da!« Das verzweifelte Muhen ging ihr durch Mark und Bein. Hastig drängte sie sich durch die Sträucher. Bald gelangte sie zu einer breiten Fährte niedergetretener Halme; die Kampfstiere hatten sich hier einen Weg durchs Dickicht gebahnt. Doch die Hilferufe kamen nicht von einem Stier, sondern von einer Kuh, die aufgeregt mit den Hörnern stieß. Vorsichtig schob sich Mari weiter vor. Im roten Morgenlicht sah sie, was geschehen war. Ein Kalb, nicht älter als ein paar Tage, war mit den Vorderbeinen in ein Erdloch gebrochen, das sich unter den Wurzeln eines abgestorbenen Baumes verbarg. Vor ihm lief die Kuh hilflos auf und ab, ihre Vorderfüße stampften den Boden. Als Mari plötzlich vor ihr stand, senkte sie den Kopf, warf ihr einen feuchten Blick zu, als wollte sie sagen: »Hilf mir!« »Lass mich vorbei!«, sagte Mari leise. Noch einmal scharrten die Hufe der Kuh, dann muhte sie klagend und wich zurück. Mari hörte das Krachen und Splittern der dünnen Äste. Behutsam trat sie an den Rand der Grube, spähte in das dunkle Loch hinab. Das jämmerlich blökende Kalb schaffte es nicht, aus eigener Kraft heraufzuklettern. Mari war fast sicher, dass die Gardians das verunglückte Tier ohnehin bald entdecken und befreien würden. Aber ihr Kinderherz war beunruhigt. Sie konnte es nicht ertragen, ein Tier in Bedrängnis zu sehen, und der Schmerz der Kuh tat ihr weh. »Nur ruhig«, rief sie dem Kälbchen halblaut zu. »Ich hol dich da raus.« Kühe und Stiere lebten zwar halbwild, waren jedoch den Menschen nicht feindlich gesinnt. Instinktiv merkte die Kuh, dass Mari ihrem Kalb helfen wollte. So verhielt sie sich still, während Mari in die Grube kletterte. Das Loch war nicht sehr tief, roch aber modrig und feucht. Einige große Würmer wanden sich in der lockeren Erde. Das Kalb lag halb zwischen den vermoderten Wurzeln, warf immer wieder in schmerzhaften und vergeblichen Anstrengungen den Kopf hoch. »Sachte, sachte!«, murmelte Mari. »Du tust dir ja weh!« Sie stützte sich auf Wurzelstränge und Steine, bis sie das Kalb zu fassen bekam. »Bist du verletzt?« Das Kalb zappelte und blökte, doch offenbar hatte es sich nichts gebrochen. Es war ein kleines Stierkalb, nicht viel schwerer als ein großer Hund, warm und klebrig vor Schweiß. Das Weiße seiner schreckgeweiteten Augen leuchtete wie Porzellan. Als Mari das Tier in die Arme nahm, drückte es vertrauensvoll den Kopf an ihre Schulter. Ihr tastender Fuß fand eine Stelle, auf der sie stehen konnte. Sie versuchte, das Kalb aus der Grube zu heben, doch sie merkte recht bald, wie schwierig das war: Ihre Arme waren nicht kräftig genug. Und die ruckhaften Bewegungen des ängstlichen Tiers machten ihr die Aufgabe nicht leichter. »Halt still!«, keuchte sie. »Wir sind ja gleich oben.« Endlich hatte sie es so weit gebracht, dass die Vorderbeine des Stierkalbes über den Rand der Grube ragten. Doch da brach der Stein, auf dem sie stand, aus den Erdschollen und Mari rutschte ein ganzes Stück tiefer. Sie stöhnte vor Anstrengung, ihre Armmuskeln zitterten. Immer wieder versuchte sie erfolglos, das Tier aus der Grube zu heben. Doch jedes Mal, wenn sie sich bewegte, versank sie immer tiefer in der weichen, sumpfigen Erde. Ihr Atem ging rasselnd, Tränen der Erschöpfung verschleierten ihre Augen. Plötzlich verdunkelte ein Schatten den Rand der Grube. Sie fühlte, wie sie von ihrer drückenden Last befreit wurde. Fast im selben Augenblick packten sie zwei kräftige Hände unter den Armen und zogen sie mit einem Ruck aus dem stinkenden Loch. »Da komm ich ja gerade recht«, sagte eine gutmütige Stimme. Schwach vor Erschöpfung, voller Schrammen und blauer Flecke, starrte Mari in Gastons braun gebranntes Gesicht. Zuerst fühlte sie sich wie erlöst, aber gleich darauf geriet sie in Panik: Sie hatte kostbare Zeit
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