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Manner Lieben

Manner Lieben

Titel: Manner Lieben
Autoren: Hanna Julian
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Bekloppte durch die Stadt, dass es auf einen mehr oder weniger nicht ankam. Aber irgendetwas an dem Typ war anders. Er sah eigentlich gar nicht verrückt aus — obwohl er eindeutig nicht mehr richtig tickte. Immerhin öffnete er nicht seinen Schirm, obwohl er bereits bis auf die Haut durchnässt sein musste. Und nun steckte er ihn sogar in eine der Mülltonnen. Vielleicht war der Schirm kaputt?
    Der Mann suchte jedoch auch nicht anderweitig Schutz, sondern ging nun im Regen hin und her, sah in Büsche, hinter Reklameschilder und starrte schließlich den Gehweg hinauf, der von einem dicht bewachsenen Grünstreifen gesäumt war. Der Kerl war ziemlich attraktiv, wie Raphael feststellte. Er hatte so etwas Wildes, Verwegenes — nun gut, das konnte durchaus auch daran liegen, dass er als Einziger in ganz Berlin dem Scheißwetter zu trotzen schien. Eine Böe erfasste den merkwürdigen Typen, er stemmte sich dagegen, nun rief er etwas in den Wind. Raphael stellte sich vor, dass er den Sturm verfluchte und ihm vielleicht sogar drohte. Witzige Vorstellung! Jetzt strich sich der Mann draußen das triefnasse Haar aus der Stirn, verharrte einen Moment so und rief dann erneut. Das sah irgendwie . verzweifelt aus — soviel also zum Thema wild und verwegen. Raphael wurde klar, dass er wieder einmal dabei war, sich seine Welt zurechtzuschnitzen, wie er sie gerne haben wollte. Und nachdem er diesen homoerotischen Roman mit einem sexy Piraten als Hauptfigur gelesen hatte, wollte er gerne an jeder Straßenecke einen Draufgänger vom Format eines Captain Jack Sparrow sehen. Dieser Kerl, der dem Sturm und dem Regen die Stirn bot, noch dazu mit kinnlangem schwarzen Haar, Dreitagebart und den dunklen Klamotten, hatte Raphael tatsächlich in Tagträume versinken lassen. Und plötzlich schämte er sich, weil er hier drinnen im Trockenen und Warmen saß, den anderen beobachtend, der offensichtlich ein Problem hatte. Raphael kramte sein Portemonnaie hervor und zahlte. Er griff seinen Schirm, dann nach dem Keks, zog seine Jacke von der Stuhllehne und steckte den Keks ein — schließlich war das Ding bezahlt. Er würde ihn sich später zwischen die Zähne schieben. Als er die Glastür öffnete, bedauerte er seine Entscheidung, das Cafe zu verlassen für einen Augenblick, doch dann rief er sich ins Gedächtnis, dass das hier vielleicht das einzige Abenteuer war, das sich ihm heute bieten würde — vielleicht sogar das Einzige, das er in seinem gesamten Urlaub erlebte! Es erschien ihm immer reizvoller, herauszufinden, was Mr. Ich-guck-mir-den- Regen-ganz-aus-der-Nähe-an für ein Problem hatte. Vielleicht war er ein Tourist, der sein Hotel suchte? Na klar, und deshalb stand er auch die ganze Zeit vor einem Cafe herum und rief in den Wind. Hotels pflegten ja auch auf Zuruf brav zu erscheinen. Raphael verwarf die Hotel-Such-Idee und näherte sich dem Fremden von hinten, der ihn wegen des Sturms nicht hören konnte. Raphael öffnete seinen schwarzen Stockschirm. Der Wind zerrte wild an dem gespannten Stoff. Als er den anderen Mann erreicht hatte, hielt Raphael den Schirm über ihn. Der Fremde wirbelte herum, als er bemerkte, dass jemand so nah hinter ihm stand. Sein Gesicht zeigte einen Ausdruck von Überraschung, Verzweiflung und Gegenwehrbereitschaft zugleich. Raphael war sich nicht ganz sicher, ob der Typ ihn wegschubsen würde, denn natürlich hatte er ihn mit seiner Schirmaktion erschreckt. Dunkelbraune Augen betrachteten ihn kritisch, der Mann wischte sich das Wasser von der Nase, die attraktiven Gesichtszüge zeigten ein kurzes und höfliches Lächeln, das sofort wieder verschwand.
    „Danke, aber ich glaube, das bringt jetzt auch nichts mehr." Raphael sah an ihm hinab und nickte. „Sieht nicht so aus."
    „Nicht schlimm", erwiderte der andere und starrte dann wieder die Straße entlang.
    „Suchen Sie etwas?", fragte Raphael neugierig. Der Mann strich sich erneut das nasse Haar nach hinten. Er sah beinahe so aus, als wäre er gerade aus der Dusche gekommen — oder als hätte ihn die Gischt erwischt, weil er hart Kurs hielt, während die Brecher über das Deck spülten und Mann und Maus mit sich rissen, außer dem charismatischen Captain, der so lange kämpfen würde, bis er in seinen Heimathafen einlief, oder mit dem Schiff unterging — verschlungen von den eisigen Fluten, die gnadenlos über ihm zusammenbrachen, bis sein muskulöser und anbetungswürdiger Körper sein Grab in den Wellen finden würde.
    Raphael holte sich selbst
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