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Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman

Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman

Titel: Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman
Autoren: Walter Mosley
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bis er eines Tages für ein paar Minuten Erleichterung seinen eigenen Bruder töten würde.«
    Wenn mein Vater Tolstoy McGill nicht nach Südamerika gegangen wäre, um gegen die Faschisten oder die Kapitalisten oder wen auch immer zu kämpfen, wenn er zurückgekommen und mir ein Vater gewesen wäre, hätte ich womöglich versucht, seiner Vision einer perfekten Welt nachzustreben. Vielleicht hätte ich, wenn meine Mutter sich, nachdem sie erkannt hatte, dass die Liebe ihres Lebens nie zurückkehren würde, nicht ins Bett gelegt hätte und dort liegen geblieben wäre, bis die Ärzte kamen und sie zum Sterben ins Krankenhaus brachten, einen anderen Weg genommen.
    Aber so musste ich mich selbst zurechtfinden in einer Welt von würgenden Ketten, fehlerhaften Entscheidungen und den Narren, die sie trafen.
    Ambrose Thurman beantwortete das Telefon nach dem ersten Klingeln.
    »Ich habe alle vier Namen.«
    »Und wie lauten sie?«
    »Sie wollen, dass ich Sie Ihnen am Telefon nenne?«
    »Ja, in der Tat. Zeit ist ein entscheidender Faktor.«
    »Sehen Sie, da haben wir beide etwas gemeinsam, Mr. Thurman.«
    »Und was soll das sein, Mr. McGill?«
    »Ich will mein Geld.«
    »Ich kann Ihnen Ihre ... Ihre Vergütung nicht am Telefon geben.« Er benutzte das Wort, als wollte er es lernen, um es in seinen Wortschatz aufzunehmen.
    »Und deshalb kann ich Ihnen nicht geben, was ich habe.«
    »Ich kann Ihnen das Geld per Express schicken.«
    »Ich habe eine bessere Idee.«
    »Und die wäre?«
    »Warum kommen Sie nicht heute Abend runter nach New York, und wir setzen uns an einen Tisch und tauschen von Angesicht zu Angesicht Information gegen Geld?«
    Ich war weder mein Vater noch meine Mutter. Ich würde nicht weglaufen oder mich hinlegen und aufgeben.
    »Kommen Sie heute Abend um viertel vor zehn ins Crenshaw«, erwiderte Thurman kurz angebunden und hörbar verärgert.
    »Genau so habe ich mir das vorgestellt.«
    Der Nachmittag verstrich einigermaßen ruhig. Ich besuchte die BBC-Website und las mich durch die Welt, beginnend in Afrika. Da fange ich immer an, um zu sehen, was die Nachrichtenproduzenten des amerikanischen Fernsehens für unwichtig halten.
    Ich hatte mich weiter durch Südamerika und Asien gearbeitet, ehe mir Twill wieder einfiel. Er durfte nicht erfahren, dass ich seine IP-Adresse angezapft hatte. Nicht weil ich mir Sorgen machte, dass er wütend werden könnte, sondern weil dies nicht die letzte Intervention bleiben sollte, zu der ich in seinen prägenden Jahren gezwungen sein würde. Es war auch nicht die erste.
    Mit vierzehn hatte er bereits ein halbes Jahr in einem Jugendgefängnis gesessen, weil er eine Middle School bestohlen hatte.
    »Du hast mich überhaupt erst auf die Idee gebracht, Dad«, hatte er mir erklärt, als wir nach seiner ersten Festnahme von der Polizeiwache nach Hause kamen.
    »Ich?«
    »Du hast doch immer gesagt, dass die Menschen in Afrika und anderswo nicht die Tools haben, die sie für den Wettbewerb brauchen, und da hab ich vom School Supply Funds erfahren und eine Scheinfirma gegründet, um denen Computer zu verkaufen.«
    »Wie viel Ware hast du bewegt?«, fragte ich. Der Junge war wegen des Diebstahls von fünf Computern und drei Mikroskopen festgenommen worden.
    »Einen Haufen«, antwortete der junge Twill.
    Er hatte an elf Schulen eine Bande von jugendlichen Dieben organisiert, Kids, die er im Sommer zuvor bei dem Leadership Camp seiner Schwester kennengelernthatte. Sie hatten mehr als fünfzehntausend Dollar erlöst, obwohl sie der Hilfsorganisation fantastische Rabatte gegeben hatten.
    Zum Glück mangelte es den Behörden an der nötigen Fantasie, um sich eingehender mit Twills Vergehen zu beschäftigen. Aber ich wurde ermahnt, dafür zu sorgen, dass er nicht noch einmal Ärger bekam.
    Als ich vom Monitor aufblickte, ging die Sonne unter. Twill bot mir ständig sowohl Anlass zur Sorge als auch Grund zum Staunen. Er war der einzige Mensch, den ich kannte, der mir im Leben auf halbem Weg entgegengekommen war.
    Gegen halb neun ging ich vom Tesla Building zur East Side und nahm die U-Bahn bis zur 86 th Street. Von der Lexington Avenue lief ich drei Blocks nach Norden und drei Blocks nach Osten bis zum Crenshaw, einem exklusiven kleinen Hotel für gehobene Kundschaft.
    Der Portier trug einen roten Frack und eine schwarze Hose und bedachte mich mit demselben Blick wie Juliet bei Berg, Lewis & Takayama. Ich lächelte so höflich, wie ich konnte, und ging an ihm vorbei in die Bar. Es war ein
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