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Man nehme: dich und mich

Man nehme: dich und mich

Titel: Man nehme: dich und mich
Autoren: Jessica Bird
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Es klang barscher als beabsichtigt, denn eigentlich hätte sie ihm danken müssen – aber darin war sie ziemlich ungeübt.
    Der Mann sah sie abwartend an, ohne eine Miene zu verziehen. Es störte sie etwas, dass er sich ihr gegenüber so kühl verhielt, wo er doch bei Joy und George so freundlich gewesen war. Wahrscheinlich mochte er sie einfach nicht. Und wenn schon! Sie würde ihn nie wiedersehen und wusste nicht mal, wie er hieß.
    Wieder ignorierte er ihre Frage und blickte an ihr vorbei zu Joy, die gerade die Treppe zum Wohntrakt hinaufgehen wollte. “Gute Nacht, Engelchen. Du hast heute wirklich gute Arbeit geleistet.”
    Joy schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. “Danke, Nate.”
    Auf diese Weise erfuhr Frankie endlich auch seinen Namen.
    Nate schloss seinen Rucksack und erwiderte den etwas angriffslustigen Blick der Frau vor ihm gelassen.
    Hinter ihrer feindseligen Maske verbarg sich bestimmt pure Erschöpfung. Sie wirkte abgekämpft, und ihre hängenden Mundwinkel verrieten, dass sie schon zu lange versuchte, mit unzureichenden Mitteln und Mitarbeitern einen aussichtslosen Kampf zu gewinnen.
    Er hatte in den letzten Jahren in der Branche viele solcher Unternehmer kennengelernt. Das
White Caps
war früher vielleicht einmal ein glanzvolles Hotel gewesen, doch jetzt sah alles verdächtig nach Niedergang und Verfall aus. Aus der einst prächtigen Villa wurde langsam aber sicher eine Ruine, und diese Frau vor ihm schien entschlossen zu sein, mit dem Haus unterzugehen.
    Wie alt mochte sie sein? Er schätzte sie auf Anfang dreißig, obwohl die Müdigkeit sie älter wirken ließ. Auch ihr Aufzug trug dazu bei: die herausgewachsene Ponyfrisur und die schmucklose Brille, die viel zu weite Kellnerinnenuniform – weißes Oberteil und schwarze Hose –, die lustlos an ihr herunterhing.
    Wahrscheinlich hatte sie sich große Hoffnungen gemacht, als sie die viktorianische Villa kaufte, aber schon nach kurzer Zeit gemerkt, dass es ein undankbarer Job war, verwöhnte, reiche Wochenendgäste zu beherbergen. Und dann waren die ersten Reparaturrechnungen eingetrudelt, und ihr war klar geworden, wie teuer allein der Erhalt eines so alten Hauses sie zu stehen kam.
    Realistisch gesehen würde das
White Caps
in spätestens einem Jahr entweder neue, finanzkräftige Besitzer haben oder vom Staat wegen baulicher Mängel geschlossen werden.
    “Was ist nun mit dem Telefon?”, unterbrach sie seine Gedanken.
    Ganz offensichtlich war sie eine Kämpfernatur und würde nicht so einfach aufgeben. Aber was brachte ihr das? Noch mehr Schulden und schlaflose Nächte? Vielleicht gehörte der alte Kasten ja ihrem Mann, und sie versuchte zu retten, was zu retten war. Einen Ehering konnte er allerdings nicht entdecken.
    “Hallo? Nate, oder wie Sie heißen, entweder machen Sie jetzt Ihren Anruf oder Sie verschwinden. Wir schließen gleich.”
    “Okay. Danke”, sagte er und ging in die Richtung, in die sie vorhin gedeutet hatte. Als er das dunkle Büro betrat, wunderte er sich, dass er auf einmal durch Pfützen watete, und schaltete eilig das Licht an.
    Ach herrje, der Raum war ein halbes Schwimmbad! Kopfschüttelnd schaute er zur Decke hoch, wo durch ein Loch Rohre zu sehen waren, die fast so alt sein mussten wie das Haus.
    Vermutlich hatte er noch Glück, wenn das Telefon überhaupt funktionierte. Er griff nach dem Hörer und wählte die Handy-Nummer seines Freundes Spike, mit dem er ein eigenes Restaurant eröffnen wollte. Sie kannten sich seit ihrer Ausbildung an dem renommierten Culinary Institute of America, und ihre Restaurantpläne waren auch der Grund für Nates Reise nach Montreal: Dort gab es ein vielversprechendes Angebot, ein bereits gut eingeführtes Restaurant zu übernehmen.
    Nachdem er Spike von seinem unplanmäßigen Zwischenstopp unterrichtet hatte, legte er auf und blickte zu der Frau, die im Türrahmen stand.
    “Was ist mit Ihrem Koch passiert?”, fragte er.
    “Er hat heute Nachmittag gekündigt.”
    Nate nickte. So war das nun mal im Restaurantgeschäft – man konnte fristlos gefeuert werden, aber auch jederzeit gehen.
    Die Frau trommelte ungeduldig mit den Fingern an den Türrahmen, aber Nate hatte es nicht eilig und sah sich in Ruhe um. Ein ganz normales Büro mit Schreibtisch, Computer, Aktenschränken, ein paar Stühlen und einem Bücherregal. Dort stand ein altes, gerahmtes Foto von einer jungen Familie, die glücklich in die Kamera lächelte. Mutter und Vater, drei Kinder, gekleidet im Stil der siebziger
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