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Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig

Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig

Titel: Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
Autoren: Rebecca Birgit;Lolosoli Virnich
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überstanden zu haben.
    Um zu retten, was noch zu retten war, führte Lpalai unsere Morani zu den Kuhkadavern. Die Löwen hatten sich vollgefressen in die Berge zurückgezogen, um dort zu schlafen. Die Männer aus unserem Dorf ließen sie ziehen und holten sich das, was von den Kühen übrig geblieben war. Manche Tiere hatten gebrochene Beine und mussten getötet werden. So viel Fleisch auf einmal hatte es in unserer Manyatta noch nie gegeben. Für uns Kinder war es ein herrliches Festessen, und mein Vater saß in dieser Nacht noch lange am Feuer und erzählte gut gelaunt von meinem Großvater und seinen riesigen Rinderherden. Doch für die Erwachsenen war dieses großzügige Mahl auch ein herber Verlust. Wir Samburus lieben unsere Tiere und es war nicht üblich, so viele Kühe auf einmal zu schlachten, denn die Herden stellten den ganzen Stolz meines Vaters dar.
    Ich kann mich noch genau an seine Blicke, seinen Geruch und sein Lachen erinnern. Vieles mache ich genau wie er. Zwischen uns war eine Nähe, die er zu meinen sechs Geschwistern, glaube ich, nicht hatte. Ich durfte sogar zugucken, wenn er sein Messer wetzte und einer Ziege den Hals aufschlitzte, obwohl es einer Samburu-Frau untersagt ist, eine Ziege zu schlachten. Und wenn das Blut im hohen Bogen aus dem Schlund spritzte, schaute ich nicht angeekelt weg wie die anderen Mädchen. Ich wollte alles ganz genau wissen, alles verstehen. In den Nächten am Feuer saugte ich seine Worte und Geschichten auf.
    Als ich älter wurde, half ich den Frauen tagsüber öfter, Feuerholz zu sammeln. Sie zeigten uns Mädchen, wie wir es am
besten stapelten, als Holzbündel schnürten und mit einem Lederriemen über der Stirn schleppten. Eines Tages war ich mit einer Gruppe Mädchen und der alten Nai Mara Mara unterwegs, die uns fast immer begleitete. Es hatte lange nicht mehr geregnet. Rund um unsere Manyatta war der Boden staubtrocken und wie leergefegt. Wir fanden nur vereinzelt ein paar Stöcke. Also liefen wir weiter als gewöhnlich in die Halbwüste. Plötzlich versperrte uns ein Elefant den Weg. Keine hatte ihn kommen sehen. Er hatte sich im Schlamm gewälzt und die beige Farbe des Sandes angenommen. Er passte perfekt in die Landschaft, hatte sich auf leisen Sohlen genähert und war keiner von uns aufgefallen.
    Die alte Nai Mara Mara, eine hagere Samburu-Frau, hielt sofort inne. »Nicht bewegen«, raunte sie uns zu. Sie habe die Gabe, mit wilden Tieren zu sprechen, hieß es im Dorf. Ich war sehr gespannt, ob sie das wirklich konnte. »Versteckt euch hinter den großen Felsen«, flüsterte sie uns zu, »und zieht eure Köpfe ein.« Ob sie den Elefanten mit übel riechenden Kräutern verjagte oder ob sie einfach nur auf ihn einredete, vermag ich nicht zu sagen. Wir wagten es nicht, uns aufzurichten. Wir blieben mucksmäuschenstill hinter den Felsen sitzen. Als wir Minuten später aufstanden, zog der Elefantenbulle in Richtung Fluss davon. Nai Mara Maras Talent kam noch ein paarmal zum Einsatz, und jedes Mal schaffte es die Elefantenflüsterin, die Tiere zu verscheuchen. Mit ihrem zerfurchten Gesicht starrte sie die Elefanten minutenlang an, bis diese verdrossen kehrtmachten. Sie schien ihnen ihren Willen aufzwingen zu können. »Es ist alles eine Frage der Konzentration«, erklärte sie uns Mädchen mit tiefer Stimme. »Ihr dürft den Tieren keine Angst zeigen. Es gibt Dinge, die nur wir Frauen können.«
    Ich war tief beeindruckt. Diese Kräfte, die nur wir Frauen besitzen, wollte ich ergründen. Fortan löcherte ich die alte Kräuterhexe, bis sie uns die gesamte Botanik auf den Hängen rund um den benachbarten Mount Warges erklärt hatte. Sie
wusste nicht nur, welches Holz am besten brannte. Beim Sammeln zeigte sie uns auch, wo besondere Heilpflanzen wuchsen, und erläuterte uns ihre Wirkung. Wenn unsere Tiere krank wurden, holte sie ein Kraut aus ihrem Lederbeutel, der immer an ihrem Gürtel baumelte, und verabreichte es den Patienten, die sich dann meistens schnell erholten.
    Ich war fasziniert und besuchte die alte Nai Mara Mara oft in ihrer Hütte, wo die Witwe allein lebte. Meine Mutter schickte mich manchmal mit etwas Essen hinüber, denn nach alter Samburu-Tradition halfen wir Mädchen den Frauen im Dorf, die selbst keine Kinder hatten. Ich holte Wasser für sie und schaute zu, wie sie Tee gegen Erkältungen, Magenbeschwerden oder Durchfall für die Menschen in unserer Manyatta braute. Meine Mutter sorgte dafür, dass jeder in unserer Siedlung genug zu essen hatte.
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