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Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig

Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig

Titel: Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
Autoren: Rebecca Birgit;Lolosoli Virnich
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unerträglich. Ich sehne mich nach der frischen Luft, den zwitschernden Webervögeln und den herrlichen Schirmakazien. Mir ist zum Heulen zumute. Es ist mir ein Rätsel, wie man hier auch nur einen klaren Gedanken fassen kann. Nagusi ermutigt mich. »Du bist stark«, meint sie. »Du wirst dich dran gewöhnen.« Gähnend begleitet sie mich durch die stickigen, düsteren Hotelgänge.
    Auf dem Weg in den Frühstücksraum des Hotels wird mir fast übel. Der Geruch alten Bratenfetts hängt in dem dunklen, holzvertäfelten Essraum. In den Fugen zwischen den Fliesen hat sich der Dreck der Jahrzehnte gesammelt. Zwischen klappernden Tellern, dampfenden Töpfen und Pfannen bereiten schwitzende Köche in der Küche Würstchen, Eier und Speck für Rucksackreisende aus aller Welt zu. Ich bekomme hier keinen Bissen herunter. Wir bestellen Chai, kenianischen Tee. Als sich meine Augen an die Dunkelheit im Speisesaal gewöhnt haben, entdecke ich an einer Wand ein Kalenderblatt einer europäischen Winterlandschaft direkt neben einer Kohlezeichnung eines Samburu-Kriegers. Touristensouvenirs. Zwischen all den Menschen auf der Durchreise fühle ich mich plötzlich völlig entwurzelt.
    Wie konnte alles nur so weit kommen? Nie hätte ich mir träumen lassen, dass mich mein eigener Mann wie einen Hund aus meinem Dorf jagt. Wir haben fünf gemeinsame Kinder. Wir sind seit mehr als dreißig Jahren verheiratet. Eine unbändige Wut steigt in mir auf. Hätten die Frauen mich nicht gewarnt und in letzter Minute verhindert, dass ich ihm in die Arme laufe, würde ich vielleicht jetzt gar nicht hier sitzen. Was ist nur falsch gelaufen, dass mein eigener Mann mich aus dem Weg räumen will, um an ein Stück Land zu gelangen? Von der Decke hängt ein eingeschalteter Fernseher an Ketten herunter, es läuft gerade eine Seifenoper aus Nigerias Traumfabrik
»Nollywood«, in der eine reiche Öl-Erbin in Lagos in Tränen ausbricht, weil ihr Mann sie vergiften will, um an ihr Geld zu gelangen. Ich frage mich, wie weit mein Mann gehen wird, um das Land von Umoja zu bekommen.
    Ich bin froh, dass Nagusi bei mir ist. Vor fünfzehn Jahren habe ich ihr in höchster Not unter die Arme gegriffen. Sie war von britischen Soldaten vergewaltigt worden und ihr eigener Mann hatte sie obendrein noch verprügelt, verhöhnt und aus ihrem Haus verjagt. Als auch ich dann von einem Schlägertrupp verprügelt wurde, gründeten wir 1995 gemeinsam Umoja. Ich kehrte dann zwar noch einmal nach Hause zurück, doch mit der Zeit wurde der Druck meiner Schwiegereltern auf mich zu groß und die Streitigkeiten mit meinem Mann steigerten sich ins Unerträgliche, sodass ich schließlich ganz nach Umoja zog.
    Um mich auf andere Gedanken zu bringen, singt Nagusi mit mir im trostlosen Hotelzimmer Lieder und spricht von früher. Wenn ich durch die gusseisernen Gitter des Hotelfensters auf die Straße blicke, dann sehe ich dort die Busse, die nach Isiolo und Maralal in die Heimat fahren. Am liebsten würde ich gleich den nächsten schwer bepackten Samburu-Express zurück nach Umoja nehmen. Aber das wäre viel zu gefährlich. Nagusi legt den Arm um meine Schultern, als könne sie Gedanken lesen. Sie weiß, wie ich mich fühle. »Du musst jetzt Geduld haben. Die Zeit wird kommen«, meint sie. In ihren hellbraun schimmernden Augen sehe ich die anderen Frauen, ich höre ihr Gelächter, ihre Stimmen. Ich sehne mich nach der unendlichen Weite, der Stille der Halbwüste und den freundlichen Gesichtern der Samburus. Und es ist, als ob mein Vater direkt neben mir stehe. Ich erinnere mich noch genau.

EINE AFRIKANISCHE KINDHEIT – DIE TOCHTER DES GROSSEN CHIEF
    Ich sehe vor mir, wie mein Vater, der große Chief Ditan Lasangurikuri, in seinen abgelaufenen schwarzen Sandalen aus alten Autoreifen, in sein rotes Tuch gewickelt auf einem Felsplateau stand und auf die heiligen Berge der Samburus schaute. Vor unseren Augen ragte der »Berg des Kindes«, den wir Samburus Ol Doinyo Lengeyo nennen, in den knallblauen Himmel. Eine Ewigkeit stand er völlig konzentriert auf seinem linken Bein, das rechte angewinkelt, betrachtete die Vögel, die um den majestätischen Gipfel schwebten, und schaute zu, wie sich die braunen Gerenuk-Gazellen auf ihre Hinterläufe stellten und Giraffen gleich an den Akazien fraßen. »Es wird bald regnen«, sagte er, als sich die Sonne wie ein roter Ball hinter das gewaltige Bergmassiv schob. Keiner konnte das mit solch einer Treffsicherheit sagen wie mein Vater. Ditan Lasangurikuri, der
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