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Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig

Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig

Titel: Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
Autoren: Rebecca Birgit;Lolosoli Virnich
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trockene Graslandschaft zu stromern. In diesem Alter wurden wir Samburu-Mädchen und -Jungen noch gleich behandelt.

    Sobald die Kühe friedlich grasten, hockten wir uns in den Schatten unter eine Schirmakazie und spielten. Wir fingen Heuschrecken und beobachteten, wie sie sich ihren Weg durch das trockene Gras bahnten. Dabei sangen wir Kinderlieder, die uns unsere Nachbarin Mama Meroni beigebracht hatte, und schnitzten Holzpfeile. Wenn wir fertig waren, stand meistens einer der Jungs auf, warf in einer Entfernung von drei oder vier Metern etwas Erde in die Luft und die anderen versuchten die kleine Staubwolke mit den Pfeilen zu treffen. Lpalai, was so viel heißt wie »mein Bruder«, rückte beim Zielen immer sein Lederarmband und seine Muschelohrringe aufgeregt zurecht. Er war ehrgeizig und zweifellos der beste Schütze unter den Jungs. Fast immer traf er die Mitte der Fabelwesen, die sich in der Luft abzeichneten, und hüpfte dann glücklich auf und ab.
    Lpalai und ich waren unzertrennlich. Er nannte mich Npalai, Schwester, obwohl wir nicht verwandt waren. Er ließ mich nie aus den Augen. Zum einen wollte er meinen Vater, den Chief unseres Dorfs Wamba, nicht enttäuschen, zum anderen waren wir zwei Seelenverwandte. Wir liebten die Tiere und genossen sowohl unsere Freiheit als auch die Verantwortung, die man uns übertragen hatte. Trotz aller Spiele verloren wir unsere Tiere nie aus den Augen.
    Wenn wir Hunger hatten, suchten wir im Unterholz nach wilden Beeren. Ich legte dann auch immer ein paar in eine alte Blechdose, die mir meine Mutter geschenkt hatte, und nahm sie mit nach Hause. Wenn ich die zerkratzte Dose abends in unserer Manyatta öffnete, verströmten die Beeren einen intensiven Geruch, der sich in unserer ganzen Hütte ausbreitete. Wohlig rollte ich mich in der Dunkelheit auf meinem Rinderfell zusammen und ließ mir die süßen Beeren auf der Zunge zergehen. Am nächsten Morgen zog ich dann wieder mit Lpalai und den anderen kleinen Viehhirten aus der Umgebung los. Manchmal kamen auch meine Freundinnen mit und wir ritzten mit den Jungs Baumrinden an, sahen zu, wie das Harz
aus dem Baum quoll, und warteten, bis es hart geworden war. Das war unser Kaugummi, auf dem wir den ganzen Tag herumkauten. Wir nannten es Retiti.
    Eines Tages auf dem Heimweg hörten wir plötzlich neben uns im dichten Gras ein Brüllen, das Mark und Bein durchdrang. Hinter einem Akazienbusch lag eine Gruppe kräftiger, brauner Tiere. Die Mädchen, die mitgekommen waren, rannten, so schnell sie ihre Beine trugen, zurück. Ich aber war neugierig und versteckte mich mit Lpalai und den anderen Jungen hinter einem Felsen. Von dort zielten die Jungen mit ihren selbst geschnitzten Speeren auf die Tiere. Doch sie konnten nicht viel ausrichten. Die meisten Pfeile gingen daneben und die gefräßigen Bestien rissen in aller Ruhe eine Kuh nach der anderen. Wir waren uninteressant für sie. Für mich war es das erste Mal, dass ich solche riesigen Tiere aus der Nähe sah. Mein Herz pochte und ich hoffte, dass sie uns nicht bemerken würden. Wir alle brachten kein Wort heraus und starrten wie gebannt auf die fressende Meute.
    Plötzlich nahm Lpalai meine Hand und flüsterte mir zu: »Komm. Lauf jetzt so schnell du kannst.« Ohne zu zögern sprang ich auf und presste meine Dose mit den Beeren an mich, während die anderen Jungen sich zwischen die Felsen kauerten. Lpalai und ich rannten wie zwei Antilopen unter den Akazienbüschen hindurch und schwebten regelrecht über dem Sandboden, sodass uns ihre dicken Dornen nichts anhaben konnten. Völlig außer Atem retteten wir uns in unsere Manyatta, riefen meinen Vater und erzählten ihm aufgeregt, was passiert war. Meine Dose hatte ich noch immer fest in meiner Hand. »Die Hunde der katholischen Priester haben unsere Kälber aufgefressen«, erklärte ich. Lautes Gelächter von den Erwachsenen, die neugierig zuhörten. Lpalai prustete. Nach all der Anspannung konnte er sich kaum halten vor Lachen. Mein Vater schaute mich liebevoll an, erleichtert, dass ich heil davongekommen war. »Es waren Löwen«, warf Lpalai ein und
rieb aufgeregt seine abstehenden Ohren, während er unsere Begegnung mit den Wildkatzen in leuchtenden Farben schilderte. Ich hatte bisher noch nie einen Löwen gesehen. Die einzigen großen Tiere, die ich kannte, waren die braunen Hunde der italienischen Missionare in Wamba. Obwohl ich mich mit meiner Unkenntnis lächerlich gemacht hatte, war ich stolz, das Abenteuer mit Lpalai so mutig
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