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Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig

Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig

Titel: Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
Autoren: Rebecca Birgit;Lolosoli Virnich
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große Samburu-Chief, konnte die Zeichen der Natur deuten. Genüsslich zerrieb er Blätter und Lehm in seiner Hand und konnte daran erkennen, wann sich der nächste Regenschauer ankündigte. Er war noch erdverbunden genug, das verborgene Zusammenspiel der Elemente lesen zu können, und hat mir einiges von diesem alten Wissen mit auf den Weg gegeben.
    In der Trockenzeit ließ er seine Herden im Grasland des riesigen Bergs in der Nähe der Quellen grasen. In dieser Jahreszeit, wenn es lange nicht geregnet hatte oder auch wenn es Zwistigkeiten mit anderen Stämmen gab, ging mein Vater in
die Berge, betete und meditierte. Manchmal durfte ich ihn ins Gebirge begleiten. In der Stille der Berge fühlte ich mich ihm ganz nah. Jede seiner Gesten prägte ich mir ein. Genau wie er starrte auch ich hoch zum Ol Doinyo Lengeyo, sah die Dunstschwaden, die an ihm vorbeizogen, und wartete darauf, dass er sich mir offenbarte. In diesen Momenten auf dem glatten Hochplateau fühlte ich mich tief verwurzelt mit der Erde und die Energie des mächtigen Gipfels strömte durch meinen Körper. Voller Genugtuung ließ ich meinen Blick über das atemberaubende Tal schweifen, durch das kleine Dik-Dik-Gazellen und Antilopen huschten. Bis heute gibt mir dieser Glaube an die Naturkräfte Halt im Leben. Das ist der Urglaube der Samburus, auch derer, die als Christen getauft sind.
    Ich war die Lieblingstochter meines Vaters und ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Als ich älter wurde, sah ich ihm immer ähnlicher, vor allem, wenn ich meinen Kopf nach alter Samburu-Sitte glatt rasierte. Es ist, als lebe seine Seele in mir weiter, als habe er mir seine Talente mit auf den Weg gegeben. Mein Vater war ein überaus gütiger Mensch. Wenn er mich sah, muss der weise, alte Mzee, wie ihn die Menschen im Dorf und in der Umgebung respektvoll nannten, gestrahlt haben. Meine Mutter hat mir erzählt, dass er stolz auf mich war. Ich war sein Sonnenschein. Jedenfalls hat er mich oft in Schutz genommen und weniger streng behandelt als meine sechs Geschwister. Als er mich als Säugling erblickte, soll er freudig gerufen haben: »Diese hier gehört mir.« Damit bestätigte er nach alter Nomadensitte die Vaterschaft, gab aber auch zu erkennen, dass er mich unter seine Fittiche nehmen wollte.
    Obwohl mir als Mädchen keine Ziegen zustanden, schenkte mein Vater mir immer wieder ein Zicklein und erklärte mir, ich solle nun gut auf es aufpassen. »Man nennt uns auch das Volk der weißen Ziegen. Du bist jetzt für sie verantwortlich. Wenn sie krank wird, musst du dich um sie kümmern. Wenn sie die richtigen Kräuter frisst, dann wird ihre Milch dafür
sorgen, dass du groß und stark wirst«, erklärte er mir. »Die Tiere sind wertvoll, sie sind der Reichtum unserer Familie.« Ich glaube, ich war gerade fünf Jahre alt geworden, obwohl ich das nicht ganz genau weiß, da wir Nomaden unsere Geburts-und Todestage nicht genau registrierten, höchstens das Geburtsjahr. Und selbst unsere Geburtsjahre bedeuten uns nicht so viel. Eigentlich orientierten wir uns nur an den Jahreszeiten oder großen Ereignissen.
    Ich nahm seine Worte ernst und ließ meine kleinen Schützlinge nicht mehr aus den Augen. Selbst beim Spielen liefen sie immer hinter mir her. Oft redete ich auch mit ihnen. Ihre Markierung kannte ich ganz genau und wenn wir sie mit den anderen Ziegen aus dem Dorf zu den besten Weideplätzen führten, fiel es mir leicht, sie am Abend anhand ihrer eingeritzten Ohren von den anderen zu trennen. Wenn sie Zecken hatten, entfernte ich sie, und wenn sie sich an den Dornen der Akazien Wunden rissen, verband ich diese. Bald waren sie wohlgenährt und mein Vater lobte meine Fürsorgepflicht und Geschicklichkeit im Umgang mit ihnen.
    Als ich sechs Jahre alt war, erlaubte mir mein Vater, mit den älteren Jungen loszuziehen, um die Kühe zu hüten. Das machte ich gerne, denn wenn die Kühe ihre Kälber säugten, gab es auch immer etwas Milch für uns Kinder. Mit den ersten Sonnenstrahlen sprang ich auf und lief ins Tal hinunter. Unter einer Akazie wartete schon Lpalai, ein dürrer achtjähriger Junge aus der Nachbarschaft mit einer riesigen Zahnlücke, den mein Vater als meinen Beschützer auserkoren hatte. Zusammen mit seinen Freunden trieben wir die Kühe aus unserem Dorf in die Berge. Lpalai ging nicht zu Schule. Seine Eltern fanden es nach alter Nomadensitte wichtiger, ihn die Tiere hüten zu lassen. Für mich gab es nichts Schöneres, als den ganzen Tag mit den Jungen durch die
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