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Mallorca Schattengeschichten

Mallorca Schattengeschichten

Titel: Mallorca Schattengeschichten
Autoren: Alex Conrad , Elke Becker
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verteidigen müssen«, warf lautstark der glatzköpfige Älteste der Pins ein.
    »Nur weil du in deinem Pinienwald Baum von Feind nicht unterscheiden kannst, sollen alle anderen für deinen Schutz sorgen?«, rief Rossa, die blonde Tochter der Quadrats, dazwischen.
    »Sinnvoll ist es schon, wenn der Talayot zusätzlich auch noch als Wachturm dienen könnte«, beschwichtigte Fill del Grosso. »Und wir sind uns sicher alle einig, dass der ideale Platz auch Sabio, unserem Wissenden, gefallen sollte, oder?« Bei seinem fragenden Blick in die Runde sah er zustimmendes Nicken. »Ich war mit Sabio in den letzten Tagen unterwegs, und er glaubt, den perfekten Ort gefunden zu haben.«
    »Wo?«, erklang es vielstimmig.
    Sabio erhob sich vom Boden und seine lange weiße Mähne fiel ihm dabei ins Gesicht. Seine dunklen Augen blickten umher. »Wenn Ihr wollt, so sehen wir uns jetzt, da auch die Sonne höher steht, den Platz an. Kommt mit!«
    Sabio ging los, Fill del Grosso schritt zu seiner Rechten. Das Gelände stieg leicht an. Sie wandten sich, einen Bogen laufend, nach Süden. Sabio blieb stehen, drehte sich um und sprach: »Liebe Gemeinschaft, dies hier ist ein wundervoller Platz; hier kann ich die Kraft unserer Erde spüren; hier wollen wir unseren Talayot gemeinsam bauen.«
     
    Am Ende des darauffolgenden Sommers war der Talayot vollendet. Die runde Form aus großen Steinen verjüngte sich nach oben. Der niedrige Eingang führte innen im Zickzack zum erhöhten Zentrum. Durch den Absatz über dem Eingang konnte man auf den Talayot steigen.
    Am Tag der Einweihung verdunkelte sich bereits am Morgen der Himmel gen Osten; ein deutliches Zeichen für einen Wetterwechsel, der vom Ende des Sommers kündete.
    Gegen Abend versammelten sich alle Sippenmitglieder in einem Kreis vor dem Talayot. Gespannt warteten sie, bis Sabio aus dem Inneren des Talayots zu ihnen käme. Ferne Blitze brachten den Himmel zum Leuchten.
    Durch die Kräuter, die ihm Rossa gesammelt und feucht auf das kleine Feuer in der Mitte des Raumes gelegt hatte, befand sich Sabio in Trance.
    Die Kräutermischung war längst verbrannt, als Sabio in die Wirklichkeit zurückkehrte. Er hatte die Energie, die ihn an diesem Platz umgab, in sich aufgesogen. Jetzt war er bereit, die Weihe vorzunehmen. Feierlich trat er nach draußen und begann seine Ansprache: »Versammelte Sippen! Nur durch unser gemeinsames Tun ist es uns gelungen, diesen außergewöhnlichen Platz zu erschaffen. Jetzt werden wir ihn unseren Göttern widmen. Erhebt Eure Fackeln! Lasst uns mit dem Tanz zu Ehren der ...« Ein lautes Donnern unterbrach seinen Aufruf.
    »Wir lassen uns nicht abhalten, heute die Weihe zu vollenden«, rief Fill del Grosso mit einem Blick in den Himmel.
    »Ja!«
    »Fahrt fort, Sabio!«, tönte es ringsherum.
    Mit angstgeweiteten Augen rissen die mitgebrachten Schafe und Ziegen panisch an ihren Stricken, als der Regen mit Wucht einsetzte und die Fackeln löschte.
    Sabio blickte sich unschlüssig um, Wasser rann über sein Gesicht. »Sollten wir die Weihe doch besser auf morgen verschieben? Auch unser Feuer wird dem Regen nicht lange standhalten.«
    Stummes Nicken bekräftigte sein Vorhaben. Rasch verabschiedeten sich die Sippen voneinander und von Sabio, der im Talayot bleiben wollte. Auch die Opfertiere ließen sie angebunden zurück, während das Gewitterchaos zulegte. Es schien, als handele es sich nicht nur um ein einzelnes Gewitter, vielmehr traten drei oder vier von mehreren Seiten in einen Wettstreit. Was genau in dieser Nacht geschah, blieb ein Geheimnis.
     
    Am Abend des nächsten Tages, als sich die Gewitter verzogen hatten und die Abendsonne den Himmel in rötliches, versöhnliches Licht tauchte, erwartete die Sippen ein grauenhaftes Bild. Die Opfertiere lagen steif mit angekokelten Stricken tot am Boden.
    Vor dem Eingang des Talayots sahen sie Sabio, wie betend auf den Knien, mit den flachen Unterarmen auf dem Boden.
    Rossa lief als Erste schreiend auf ihn zu: »Sabio, Sabio, steht auf! Was ist mit Euch?« Als sie merkte, dass er nicht reagierte, bremste sie ihren Lauf.
    Auch die anderen, die ihr folgten, blieben abrupt stehen. Auf den Handoberflächen sahen sie zuerst die kreisrunden, schwarzen Stellen. Später bemerkten sie einen verkohlten Fleck in seinem weißen Haar und einen eingebrannten, schwarzen Kreis auf seinem Haupt. Einige begannen zu schluchzen, andere starrten reglos auf Sabio.
    Fill del Grosso fasste sich zuerst. »Wäre er im Talayot geblieben, so
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