Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Malka Mai

Malka Mai

Titel: Malka Mai
Autoren: Mirjam Pressler
Vom Netzwerk:
Frantek, der Mann von Teresas Schwester.« Als er Malkas erschrockene Augen sah, fügte er schnell hinzu: »Anteks Onkel.«
    Er half der alten Frau, die er Babka Agneta nannte, auf den Schlitten, dann packte er Malka um die Taille und hob sie hinauf. Die alte Frau nahm eine zusammengelegte Decke vom Boden, faltete sie auf und wickelte Malka hinein. Der Mann auf dem Bock knallte mit der Peitsche, der Schlitten fuhr los, nicht durch Lawoczne, nicht durch die Straßen, die sie kannte, sondern in einem weiten Bogen um die Häuser herum. Sie hatte die Gelegenheit verpasst, in ihr altes Haus zu fliehen. Wieder einmal war sie zu langsam gewesen.
    Die Felder lagen unter einer weißen Decke, die Bäume am Straßenrand bogen sich unter der Schneelast. Malka wusste nicht mehr, wo sie waren, sie kannte die Wege nicht, zumindest nicht, wenn sie so verschneit waren. Dann erreichten sie einen Wald. Es war totenstill, nur die Hufe des Pferdes und das Knirschen der Schlittenkufen im Schnee waren zu hören. Malka kroch in sich zusammen, Angst packte sie, sie sehnte sich nach dem Ghetto zurück, in dem sie sich auskannte, egal ob in Skole oder in Stryj oder irgendwo anders, es sollte nur ein Ghetto sein. Sie war nicht vorsichtig genug gewesen, sie hätte es doch wissen können. Die alte Frau sah hier, im Wald, gar nicht mehr so freundlich aus, Malka erkannte auf einmal, dass sie sich nur verstellt hatte, und der Rücken des Mannes auf dem Bock wurde immer größer und breiter.
    Die Fahrt durch den Wald nahm kein Ende, die Äste waren schwarz unter dem Schnee, alles war weiß, auch der Himmel, es gab nur diese schwarzen Äste und die schwarzen Baumstämme, die in der Ferne aussahen wie uniformierte Soldaten mit erhobenen Gewehren. Als der Schlitten an einem Dickicht vorbeifuhr, riss sich Malka die Decke herunter und sprang von dem fahrenden Schlitten.
    Sie hörte die alte Frau etwas rufen, hörte, wie der Mann auf dem Bock das Pferd zügelte, und rannte los, hinein in das Dickicht.
    Hanna lag oben auf dem Ofen , schon seit Stunden lag sie da, seit Frantek das Pferd eingespannt hatte und mit dem Schlitten zum Bahnhof gefahren war. Sie wollte nicht mit Bronja reden und vor allem wollte sie die beiden Kinder nicht sehen, zwei kleine, süße Mädchen, Zwillinge, noch keine zwei Jahre alt. Sie lag auf dem Ofen und versuchte, nicht hinzuhören, wenn Bronja mit den Kleinen lachte und ihnen zärtliche Namen gab. Sie konnte nicht lachen, sie konnte nicht freundlich zu kleinen Kindern sein, heute nicht.
    Sie hatte in der letzten Nacht sehr schlecht geschlafen, auch die zwei, drei Gläser Wodka, die sie mit Frantek getrunken hatte, hatten nichts geholfen. Sie hatte von ihrer Mutter geträumt und morgens, morgens, beim Aufwachen, hatte sie das Gesicht ihrer Mutter noch deutlich vor sich gesehen, so deutlich wie schon lange nicht mehr. Jetzt, auf dem Ofen, dachte sie an den ersten Besuch ihrer Mutter, gleich nach Malkas Geburt. Sie hatte im Krankenhaus entbunden, weil sie mit Komplikationen gerechnet hatte. Schon Minnas Geburt, die nun schon neun Jahre her war, war nicht leicht gewesen.
    Sie erinnerte sich, dass sie im Bett gelegen hatte, erschöpft und allein, weil Issi nicht da war, auch bei Minnas Geburt war sie allein gewesen. Außerdem war sie ein bisschen enttäuscht, dass sie wieder ein Mädchen geboren hatte. Nicht dass sie selbst unbedingt einen Sohn hätte haben wollen, es ging ihr um einen Enkel für ihren Vater, er sehnte sich so nach einem männlichen Nachkommen, der nach seinem Tod den Kaddisch 15) für ihn sprechen könnte. Ihre Mutter war hereingekommen und hatte das Neugeborene betrachtet.
    15) Kaddisch: altes Gebet, das die Heiligkeit Gottes verkündet und um Frieden für Israel und die ganze Welt bittet. Außerdem dient es als Waisengebet, das von den Söhnen für ihre verstorbenen Eltern bei der Beerdigung und während des Trauerjahres und später am Todestag gesprochen wird.
    Hanna sah sie noch genau vor sich, wie sie sich über das Bettchen beugte und mit einem Finger das Kind streichelte. »Die roten Flecken sind von der Zange«, sagte sie entschuldigend, »die gehen bald weg.«
    »Was für ein schönes Mädchen«, sagte ihre Mutter, nahm die Kleine heraus und setzte sich mit ihr auf Hannas Bettrand, ganz versunken in den Anblick, so dass Hanna einen Moment lang eifersüchtig dachte: Sie tut, als wäre es ihr Kind, als hätte sie es selbst geboren, sie freut sich mehr als ich.
    Ihre Mutter hob den Kopf. »Ich möchte so gern,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher