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Malka Mai

Malka Mai

Titel: Malka Mai
Autoren: Mirjam Pressler
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gefährlich. Wir müssen uns etwas anderes überlegen.«
    Hanna war unfähig zu überlegen. Sie fühlte sich so verloren wie früher als Kind, wenn ihr Vater sie bestraft hatte. Damals hatte sie oft nicht verstanden, was er ihr vorwarf, aber diesmal wusste sie es genau.
    »Vielleicht hat sie einfach nicht geglaubt, dass Babka Agneta die Wahrheit gesagt hat«, sagte Frantek. »Vielleicht hat sie geglaubt, das wäre eine Falle.«
    Babka Agneta hob die Schultern und Bronja sagte: »Babka, du musst noch einmal hinfahren, bitte. Ich würde ja selbst fahren, aber ich kann nicht weg, wegen der Kinder.«
    »Und wenn Teresa fahren würde?«, sagte Babka Agneta. »Die kennt das Kind doch.«
    Zygmunt schüttelte den Kopf. »Teresa darf nichts riskieren, wegen Antek. Das geht nicht.«
    Alle schwiegen bedrückt. Bis Zygmunt sagte: »Babka Agneta soll noch einmal hinfahren und etwas mitnehmen, als Beweis, damit Malka glaubt, dass ihre Mutter hier ist. Vielleicht eine Kette oder so was.« Er wandte sich an Hanna. »Frau Doktor, haben Sie nicht eine Kette oder ein anderes Schmuckstück, das Malka von früher kennt?«
    Hanna schüttelte den Kopf. »Ich habe schon längst alles verkauft, was ich hatte, und es war sowieso kaum was«, sagte sie niedergeschlagen.
    Wieder schwiegen sie. Die Stille hing so schwer über dem Raum, dass Hanna fast das Gefühl bekam, sie müsse ersticken. Es war so still, dass man das Flackern der Petroleumlampe hörte. Plötzlich schlug Zygmunt auf den Tisch. »Ich hab’s«, rief er. »Ich weiß, was du mitnehmen musst, Babka Agneta. Anteks Ball. Den hat Malka für ihn genäht, als sie bei uns war, den erkennt sie bestimmt.«
    Alle lachten erleichtert, redeten durcheinander und freuten sich, als wäre Malka schon da.
    »Ich bringe Babka Agneta mit dem Schlitten zum Zug«, rief Frantek. »Gleich morgen früh, und auf dem Weg kommen wir bei euch vorbei und holen den Ball.«
    »Nein, nicht morgen«, mischte sich Bronja ein. »Babka Agneta braucht ein paar Tage, um sich auszuruhen. Nächste Woche.«
    Die beiden Männer nickten, ließen sich aber von ihrer Freude nicht abbringen. »Und wenn wir Malka ein bisschen aufgefüttert haben«, sagte Frantek, »bringe ich sie mit der Frau Doktor zum Forsthaus. Vielleicht ist das Wetter bis dahin ja besser, wenn nicht, nehme ich den Schlitten. Die Idee mit dem doppelten Boden ist nicht schlecht.«
    Zygmunt nickte seinem Schwager zu. »Ich habe noch Bretter, die kannst du haben und ich helfe dir natürlich.«
    Bronja stand auf und nahm die Hände ihrer Mutter. »Du musst schlafen«, sagte sie zärtlich. »Das war anstrengend, so eine Reise. Komm, ich bring dich ins Bett.«
    Zygmunt und Frantek planten bereits den Weg über die Grenze, sie diskutierten, welche Wege mit dem Schlitten befahrbar seien, und setzten Hanna und Malka schon in Munkatsch in den Zug.
    Hanna merkte, wie sie langsam von der Freude angesteckt wurde, und das machte ihr Angst, es war eine Versuchung Gottes, die seinen Zorn herabrufen könnte. »Hört auf«, sagte sie. »Nicht weiterreden. Wir müssen Malka doch erst mal hier haben.«
    Frantek stand auf und goss drei Gläser Wodka ein.
    Schwester Zippi zog Malka am Arm zu Doktor Burgs Zimmer, stieß sie hinein und stellte sich dann breitbeinig und mit zur Seite ausgestreckten Armen vor die Tür, damit Malka nicht weglaufen konnte. Die alte Bäuerin saß wieder da, die Hände auf dem weiten, dunklen Rock mit der schwarzen Schürze, wie beim letzten Mal. Malka wich zurück, stieß mit dem Rücken gegen Schwester Zippi, die sie an den Schultern nahm und wieder vorwärts schob.
    »Hör dir doch alles erst einmal an«, sagte Doktor Burg beschwörend.
    Malka hielt sich die Ohren zu. Warum ließen sie sie nicht in Ruhe? Sie sollten sie in Ruhe lassen, mehr wollte sie nicht. Sie starrte an der Frau vorbei zum Fenster und sah den Himmel. Es würde wieder schneien, das war ein Schneehimmel. Plötzlich wünschte sie sich, es würde schneien und schneien und nie mehr aufhören und alles würde mit einer weißen Decke zugedeckt, das Krankenhaus mit allen Menschen darin, das Ghetto mit allen Menschen darin, ganz Polen und ganz Ungarn mit allen Menschen darin, die ganze Welt.
    Aus den Augenwinkeln sah sie, wie die alte Frau ihre Hand in die Tasche ihrer schwarzen Schürze schob und etwas herausholte. »Schau her, Malka«, sagte sie.
    Malka hörte zum ersten Mal ihre Stimme, durch die Hände auf ihren Ohren klang sie dumpf und wie aus großer Entfernung. Widerstrebend sah
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