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Malka Mai

Malka Mai

Titel: Malka Mai
Autoren: Mirjam Pressler
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Zygmunt Salewsky war. Bei den Salewskys war es ihr bestimmt gut gegangen. Die beiden waren anständige Menschen, die ihre Kinder zärtlich liebten, sogar den bedauernswerten kleinen Antek.
    Die Fahrt dauerte lange und allmählich spürte Hanna, wie ein Gefühl der Panik in ihr aufstieg. Sie lag zwischen den Holzbrettern wie in einem Sarg, sie konnte sich nicht bewegen, ihr Gesicht lag auf der Seite, ihr Nacken tat weh, ihre Oberschenkel fingen an zu krampfen. Als sie kurz davor war, in Panik mit den Füßen an die hölzerne Decke zu schlagen, hörte sie, wie der Förster mit der Peitsche knallte und jemandem einen Gruß zurief. Sofort beruhigte sie sich, die Muskeln an ihren Oberschenkeln hörten auf zu zittern, nur ihr Nacken tat noch weh.
    Sie waren also in einem Ort, vielleicht sogar in Lawoczne. Sie spitzte die Ohren. Manchmal hörte sie Stimmen, ab und zu bellte ein Hund, dann wieder vernahm sie die Motorgeräusche eines Autos oder eines Motorrads oder den Lärm spielender Kinder, und einmal ein Hämmern wie aus einer Schmiede. Wieder wurde es still. Hanna hatte dem Förster genau erklärt, wie man zu Zygmunts Haus kam, hatte ihm den Weg, den sie seit Anteks lebensbedrohlicher Erkrankung im Schlaf finden würde, sogar aufgezeichnet. Er hatte das Blatt lange und gründlich betrachtet, bevor er es ins Feuer geworfen hatte.
    Endlich hielt der Schlitten. Wojtek klappte die Decke zurück, schob seine Hände in den Zwischenraum und zog Hanna, die sich wie eine Ertrinkende an seine Hände klammerte, heraus.
    Sie fiel in den Schnee und rappelte sich hoch, bewegte den Kopf hin und her, bis sich die schmerzenden Nackenmuskeln lockerten.
    Der Schlitten stand vor dem Haus am Waldrand. Teresa riss die Tür auf, stürzte auf Hanna zu und umarmte sie. »Frau Doktor«, sagte sie und fing an zu weinen.
    »Wo ist Malka?«, fragte Hanna und schaute sich suchend um.
    Teresa führte Hanna und den Förster ins Haus, in die warme Küche. Marek saß am Tisch und zog vorsichtig, mit spitzen Fingern, die Haut von gekochten Kartoffeln, Julek und Antek hockten mit gespreizten Beinen auf dem Boden vor dem warmen Ofen und rollten einen bunten Stoffball zwischen sich hin und her.
    »Die Kinder«, sagte der Förster. »Sollten wir sie nicht hinausschicken?«
    »Nein«, sagte Teresa, »das ist nicht nötig. Marek und Julek lieben Malka, sie wissen, dass sie nicht über sie reden dürfen, sogar Julek kapiert das schon. Und Antek –«, sie lächelte, bückte sich und strich dem Jungen über den Kopf, »Antek kann nicht sprechen, also kann er auch niemanden verraten.«
    Sie goss ihren Gästen Tee aus einer Kanne ein, die zum Wärmen auf der Ofenplatte stand, und erzählte, wie und warum Zygmunt Malka nach Skole gebracht hatte, ins Ghetto, zu einer Familie, die er kannte. Hanna war so enttäuscht, dass sie am liebsten geweint hätte, nur geweint.
    Der Förster schaute sie an. »Kommen Sie, Frau Doktor«, sagte er. »Dann fahren wir eben nach Skole.«
    Hanna wollte aufstehen, aber Teresa legte ihr die Hand auf den Arm. »Malka ist nicht mehr dort. Als wir gehört haben, dass die Juden vom Ghetto weggebracht worden sind, ist Zygmunt hingefahren, aber die Goldfadens, die Malka aufgenommen hatten, waren nicht mehr da. Zygmunt hat einen Freund gebeten, in den Transportlisten nachzuschauen, Malka war nicht dabei, auch kein viertes Kind unter dem Namen Goldfaden.« Sie lächelte Hanna an. »Zygmunt hat viele Freunde. Wir haben erfahren, dass Malka in Stryj ist, im jüdischen Krankenhaus. Niemand weiß, wie sie hingekommen ist, aber wir hoffen, dass es ihr dort einigermaßen gut geht.«
    Das Gesicht des Försters wurde düster. »Stryj ist zu weit, das schafft mein Pferd nicht«, sagte er.
    Teresa nickte beruhigend. »Wir müssen auf Zygmunt warten. Er wird wissen, was wir machen sollen. Er wird alles tun, damit Sie Ihre Malka wiederbekommen, Frau Doktor.«
    Sie tranken Tee und warteten. Hanna, aus alter Gewohnheit, untersuchte inzwischen die drei Jungen, soweit sie das ohne Stethoskop konnte. Es machte ihr Vergnügen, für eine kurze Zeit hatte sie das Gefühl, es wäre alles wie früher, sie könnte anschließend einfach in ihr Haus in Lawoczne zurückkehren. Minna hätte das Abendessen gekocht, vielleicht sogar Zofia, und Malka würde irgendwo spielen oder lesen. Die Jungen waren gesund und Antek quietschte laut, als sie ihn kitzelte.
    Endlich kam Zygmunt. Er kapierte schnell. »Sie können nicht hier bleiben, Frau Doktor«, sagte er. »Wir sind
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