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Malevil

Malevil

Titel: Malevil
Autoren: R Merle
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nicht mit dem Vater, sondern mit dem
     Onkel. Der – aber davon wußte ich damals nichts – in trautestem Einvernehmen mit Adelaide steht. Also habe ich ohne mein Wissen
     eine echte Familie neben der, die ich verabscheue.
    Und ich besitze noch eine andere, die mir teuer ist und die ich mir selbst geschaffen habe: den »Zirkel«. Eine erzgeheime
     Gesellschaft von sieben Mitgliedern, die ich in der Schule von Malejac (401 Einwohner, Kirche aus dem 12. Jahrhundert) gegründet
     habe. Dank jenem Unternehmungsgeist, der mir eigen ist und der meinem Erzeuger fehlt, bin ich meinerseits der Vater des Zirkels
     und habe ihn unter dem Anschein von Sanftheit ganz fest in der Hand.
    Mein Entschluß ist gefaßt. Da ich zu Hause beleidigt werde, will ich mich in den Schoß dieser Familie zurückziehen. Ich warte,
     bis der Vater seine Siesta hält und die Mutter, mit den beiden gelockten Gören am Rockzipfel, das Geschirr abwäscht. Ich steige
     in meine Bodenkammer hinauf, stopfe meinen Campingbeutel voll (ein Geschenk des Onkels), schnüre ihn zu und werfe ihn auf
     den Holzstapel unter meinem Fenster. Bevor ich weglaufe, lasse ich einen Brief auf meinem Tisch zurück. Er ist feierlich adressiert
     an Monsieur Simon Comte, Landwirt, Grange Forte, MALEJAC.
     
    Mein lieber Papa,
    ich gehe fort. In diesem Haus werde ich nicht so behandelt, wie ich es verdiene.
    Viele Küsse,
    Emmanuel
     
    Und während mein armer Vater hinter seinen geschlossenen Fensterläden schläft, ohne zu wissen, daß sein Hof schon keinen Nachfolger
     mehr hat, radle ich, den Campingbeutel auf dem Rücken, durch die Sonnenhitze in Richtung Malevil.
    Malevil, eine große, halbverfallene Burg aus dem 13. Jahrhundert, steht auf halber Höhe eines steilen Hanges über dem kleinen
     Rhunes-Tal. Ihr Eigentümer hat sie sich selbst überlassen, und seit sich aus dem Mauerkranz des Bergfrieds ein Steinblock
     gelöst und einen Touristen erschlagen hat, ist der Zutritt verboten. Der Denkmalschutz hat zwei Warntafeln anbringen und der
     Bürgermeister von Malejac die einzige Zugangsstraße |12| am Abhang durch vier Reihen Stacheldraht absperren lassen. Ohne Zutun der Gemeinde wird diese Absperrung durch fünfzig Meter
     undurchdringliches Dornengestrüpp verstärkt, das von Jahr zu Jahr dichter an den alten Weg zwischen Felswand und Abgrund heranwächst,
     der Malevil auf seiner schwindelerregenden Höhe von dem Hügel mit den Sept Fayards des Onkels trennt.
    Hier ist unser Domizil. Unter meiner Anleitung hat der Zirkel alle Tabus gebrochen, den Stacheldrahtzaun mit einem unsichtbaren
     Einlaß versehen und in dem gigantischen Dornendickicht einen Tunnel ausgehöhlt, den wir ständig frei halten und durch eine
     listig angelegte Krümmung dem Blick vom Wege her entzogen haben. Im ersten Stockwerk des Bergfrieds, wo der Fußboden durchgebrochen
     war, haben wir alte Bretter aus dem Abfallstapel des Onkels von Balken zu Balken genagelt und einen Steg gelegt. Auf diese
     Weise konnten wir am anderen Ende des riesigen Saales in eine kleine Kammer gelangen, in der Meyssonnier, der in der Werkstatt
     seines Vaters viel bastelt, ein Fenster und eine Tür mit Vorhängeschloß eingesetzt hat.
    Der Bergfried ist überdacht. Das Rippengewölbe hat der Zeit widerstanden. Unser Versteck hat einen Kamin; das Mobiliar besteht
     aus einer alten, mit Säcken bedeckten Matratze, einem Tisch und Hockern.
    Das Geheimnis blieb gewahrt. Der Zirkel hat sieh dieses Domizil, von dem die Erwachsenen nichts wissen, bereits vor einem
     Jahr eingerichtet. Ich rechne damit, daß ich hier bis zum Beginn des neuen Schuljahres unterkriechen kann. Unterwegs habe
     ich Colin verständigt, der sagt es Meyssonnier, Meyssonnier sagt es Peyssou, Peyssou sagt es den anderen. Ich gehe nicht ohne
     Proviant an Bord.
    Ich verbringe in meiner Zelle den Nachmittag, die Nacht und den ganzen nächsten Tag. Es ist weniger lustig, als ich gedacht
     hätte. Wir haben Juli, die Gefährten helfen auf den Feldern, und ich werde sie erst am Abend sehen. Malevil zu verlassen,
     wage ich nicht. In der Grange Forte haben sie sicher schon die Gendarmen auf mich gehetzt.
    Um sieben klopft jemand an die Tür des Zirkels. Ich erwarte den großen Peyssou, der mir Verpflegung bringen soll. Ich hatte
     das Vorhängeschloß von der Tür genommen; auf meiner |13| harten Matratze liegend, einen blutrünstigen Abenteuerroman in der Hand, rufe ich laut: »Komm doch rein, du Idiot!«
    Es ist Onkel Samuel. Er ist Protestant, daher
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