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Malevil

Malevil

Titel: Malevil
Autoren: R Merle
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Angriffen gegenseitig zu warnen und einander sofort
     zu Hilfe zu eilen.
    Am 17. März 1979 hatte es den ernsthaftesten Alarm gegeben. In der Morgendämmerung begann die Glocke der Kapelle in La Roque
     stürmisch zu läuten, und die ungewöhnliche Dauer ihres Geläutes wies darauf hin, daß die Gefahr groß war. Emmanuel überließ
     es Jacquet und den zwei Frauen, für die Verteidigung von Malevil zu sorgen, und in rasendem Galopp gelangten wir über den
     Forstweg in einer dreiviertel Stunde an den Waldrand und sahen hundert Meter vor uns den Feind vor dem Wall. Was wir erblickten,
     bestürzte uns. Ungeachtet der Fallen und der Stacheldrahtsperren und trotz des anhaltenden Feuers der Verteidiger waren bereits
     fünf oder sechs Leitern an verschiedenen Stellen an die Mauern gelegt. Die Bande mochte an die fünfzig entschlossene Individuen
     zählen. Ein Dutzend von ihnen war, wie wir später erfuhren, in den Ort gedrungen, als die Streitkräfte von Malevil eingriffen,
     die Belagerer von hinten faßten, ihnen mit ihrem Gewehrfeuer und der Panzerfaust (wir hatten sie gerade zur Verfügung) schwere
     Verluste beibrachten und sie in die Flucht schlugen. Emmanuel organisierte sofort die Verfolgung der Überlebenden, die sich,
     in kleine, noch gefährliche Gruppen aufgespalten, im Unterholz versteckt hielten. Diese Jagd über Berg und Tal dauerte acht
     Tage.
    Am 25. März gewannen wir die Gewißheit, daß der letzte Plünderer getötet war. An diesem Tag empfand Emmanuel einen lebhaften
     Schmerz im Unterleib, als er von seiner Amarante stieg. Er mußte wiederholt erbrechen und sich mit hohem Fieber zu Bett legen.
     Ich tastete ihm auf seine Bitte den Bauch ab und drückte mit vier Fingern auf die Stelle, die er mir angab. Er stieß einen
     Schrei aus, unterdrückte ihn sofort, warf mir einen Blick zu, den ich nie vergessen werde, und sagte mit klangloser Stimme:
     Nicht nötig, daß du weitermachst, es ist ein Anfall von Blinddarmentzündung. Es ist der dritte.
    In den folgenden Tagen teilte er mir mit, daß er im Jahre 76 zwei Anfälle gehabt hatte und zu Weihnachten operiert werden
     sollte. Sogar die Verabredung sei getroffen worden und das Zimmer in der Klinik reserviert gewesen, aber da er von Arbeit
     überhäuft war und sich im übrigen voll in Form fühlte, habe er die Operation im letzten Moment auf Ostern verschoben. Ohne |543| mich anzusehen, fügte er hinzu: Das war eine Nachlässigkeit, für die ich zu bezahlen habe.
    Acht Tage nach dem schweren Anfall vom 25. März war Emmanuel dennoch wieder auf den Beinen. Er fing wieder an zu essen. Ich
     bemerkte indessen, daß er nicht zu Pferd stieg und daß er sich anstrengender Tätigkeiten enthielt. Außerdem aß er wenig, legte
     sich häufig hin und klagte über Brechreiz. So verging ein Monat in einem Zustand, in dem wir eine Genesung zu erkennen hofften
     und der in Wirklichkeit nur ein Aufschub war.
    Am 27. Mai wurde Emmanuel bei Tisch von heftigen Schmerzen befallen. Man brachte ihn in sein Zimmer. Er wurde von Fieberschauern
     geschüttelt, und das Thermometer zeigte 41 Grad. Sein Bauch war gespannt und hart. Diese Verhärtung nahm in den folgenden
     Tagen zu. Emmanuel litt entsetzlich, und ich war überrascht, wie schnell seine Gesichtszüge verfielen. In weniger als drei
     Tagen sanken seine Augenhöhlen ein, und sein Gesicht, für gewöhnlich voll und blühend, wurde aschfahl und abgezehrt. Wir besaßen
     nichts zu seiner Erleichterung, nicht einmal eine Aspirintablette. Wir lungerten vor seinem Zimmer herum, und wir weinten
     vor ohnmächtiger Wut bei dem Gedanken, daß Emmanuel in Ermangelung einer Operation, die in normalen Zeiten zehn Minuten gedauert
     hätte, sterben sollte.
    Am sechsten Tag verringerten sich die Schmerzen. Er konnte die Schale Milch, die ich ihm am Morgen brachte, zur Hälfte austrinken,
     und er sagte zu mir: Ich bin dreiundvierzig Jahre alt. Ich hatte eine sehr kräftige Konstitution. Aber weißt du, was mich
     am meisten überrascht? Daß mich mein Körper, dem ich so viel Freude abgelockt habe, eine solche Rechnung bezahlen läßt, bevor
     er mich verläßt.
    Daraufhin sah er mich aus seinen hohlen Augen an, ließ mir von seinen fahlen Lippen ein halbes Lächeln zukommen und sagte:
     »Nun, mich verlassen ist eine Redensart. Ich habe eher das Gefühl, daß wir gemeinsam gehen.«
    Am Nachmittag kam Meyssonnier wie jeden Tag aus La Roque herüber, um ihn zu besuchen. Emmanuel, obgleich sehr schwach, fragte
     ihn nach seinem
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