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Malevil

Malevil

Titel: Malevil
Autoren: R Merle
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antworten, und eines Tages, während wir bei Tisch waren, glitt sie von ihrer Kaminbank und fiel ins Feuer. Wir stürzten
     zu ihr. Sie war tot.
    Ihr Hinscheiden versetzte uns in Bestürzung. Wir dachten, sie würde dank ihrer Lebenskraft den Tod Emmanuels ebenso verwinden
     wie Momos Tod. Wir vergaßen, die gehäufte Wirkung von zwei Schlag auf Schlag erfolgten Verlusten in Rechnung |546| zu stellen. Ich glaube auch, wir hatten nicht vollkommen begriffen, daß die Energie der Menou der Stütze auf eine Kraft bedurfte,
     die sie mit Sicherheit erfüllte, und diese Kraft war Emmanuel gewesen.
    Nach der Beerdigung wollte die Versammlung von Malevil mich zum militärischen Führer ernennen und Colin zum Geistlichen von
     Malevil wählen. Ich lehnte ab. Ich brachte Emmanuels Ablehnung einer Trennung von geistlicher und weltlicher Macht in Erinnerung.
     Man schlug mir dann vor, in Malevil auch die kirchlichen Funktionen zu übernehmen. Ich lehnte abermals ab. Ich war immer noch
     auf kleinlichste Weise meinen persönlichen Ansichten verhaftet, wie Emmanuel es mir zu seinen Lebzeiten vorgeworfen hatte.
    Das war meinerseits ein ungeheurer Fehler. Denn nun erhielt Colin beide Machtbefugnisse aus unserer Hand.
    Colin war zur Zeit Emmanuels zartfühlend, freundlich, hilfsbereit und heiter. Doch war er das alles, weil er sich in der Freundschaft
     Emmanuels badete, der ihn immer begünstigt hatte. Als Emmanuel gestorben war, hielt Colin sich für einen zweiten Emmanuel.
     Und da er weder dessen Autorität noch dessen Überzeugungskraft hatte, wurde er tyrannisch, ohne deshalb respektiert zu werden.
     Wenn ich daran denke, daß ich Emmanuels »Erhebung in den Herrenstand« befürchtet hatte! Aber Emmanuel war der Engel der Demokratie
     selbst, verglichen mit seinem Nachfolger! Kaum gewählt, hörte Colin damit auf, die Versammlung einzuberufen, und regierte
     selbstherrlich.
    In Malevil gab es sozusagen täglich ernsthafte Zusammenstöße des »Oberhauptes« mit Peyssou, mit mir, mit Hervé, mit Maurice
     und sogar mit Jacquet. Colin stieß bei den Männern auf Widerstand und kam auch mit den Frauen nicht besser zurecht. Er verzankte
     sich mit Agnès Pimont, weil er vergeblich versucht hatte, ihre Zuneigungen zu kontrollieren. Nicht mehr Glück hatte er mit
     La Roque, das ihn, von uns über seinen Absolutismus aufgeklärt, nicht zum Bischof wählen wollte. Darüber war er tief gekränkt,
     er verzankte sich halb mit Meyssonnier und versuchte vergeblich, uns in seinen Zwist mit hineinzuziehen.
    Sicherlich, es war nicht leicht, Emmanuels Nachfolger zu sein, aber Colins Eitelkeit und das Bedürfnis, sein Ich zu erhöhen,
     grenzten ans Pathologische. Nachdem er zum Geistlichen von Malevil und zum militärischen Führer gewählt worden |547| war, senkte er seine Stimme um einiges, nahm eine stolze Miene an, hüllte sich bei Tisch in hochmütiges Schweigen und zog
     die Augenbrauen hoch, wenn wir als erste redeten. Wir bemerkten, daß er sich nach und nach mit einem kindischen System von
     kleinen Privilegien und kleinen Vorrangstellungen umgab, die niemand außer acht lassen durfte, ohne ihn zu beleidigen. Sein
     Zartgefühl – das Emmanuel gerne pries – diente ihm nicht dazu, gelegentlich die Absurdität seines Auftretens zu korrigieren,
     sondern nur, um zu empfinden, wie sehr wir es mißbilligten. Er hielt sich für verfolgt. Und er fühlte sich allein, weil er
     sich isoliert hatte.
    Die Uneinigkeit richtete sich in Burg Malevil auf Dauer ein. Es gab böse Blicke, unerträgliche Spannungen, nicht minder unerträgliches
     Schweigen. Agnès Pimont und Catie sprachen zweimal davon, nach La Roque zurückzukehren. Solche Drohungen machten Colin nicht
     nachgiebiger. Ganz im Gegenteil. Er richtete an seine Gefährten nur noch das Wort, um ihnen Befehle zu erteilen. Es kam schließlich
     der Moment, da er sich in seiner Person physisch bedroht glaubte. Er begann, ständig seine Pistole im Gürtel zu tragen, selbst
     bei Tisch. Und beim Essen warf er bald gehetzte, bald wütende Blicke auf uns.
    Da ihn alles beleidigte, hörten wir auf, während der Mahlzeit zu sprechen. Die Atmosphäre in Malevil wurde dadurch nicht entspannt.
     Und die mächtigen düsteren Mauern der Burg begannen Verdruß und Angst auszuschwitzen.
    Colin fürchtete sich sehr vor Verschwörungen unsererseits, und schließlich verschworen wir uns wirklich. Wir dachten daran,
     gegen seinen Willen die Vollversammlung von Malevil einzuberufen und über seine
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