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Malerische Morde

Malerische Morde

Titel: Malerische Morde
Autoren: Ralf Kramp
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drohen.«
    Er wechselte den Koffer ein letztes Mal von einer Hand in die andere, atmete tief ein und flüsterte: »Attacke!«
    *
    Bert Wallraff tippte mit dem Zeigefinger an die Seitenscheibe des Pförtnerzimmers. Der alte Bergengruen schien ihn nicht zu hören. Er hatte sich auf seinem Bürosessel zurückgelehnt und hielt die Fernbedienung am lang ausgestreckten Arm auf den kleinen Fernseher gerichtet. Die Batterie taugte nichts mehr. Immer wieder zappte er durch die Programme, und immer dann, wenn nicht gerade jemand durch das Foyer des Altenheims am Neuwieder Rheinufer ging, schaltete er rasch auf Neun Live um, wo sich zur Nachtstunde drittklassige Models in stummen Endlos-Sequenzen ihrer Spitzenunterwäsche entledigten und in Zeitlupe an sich herumkitzelten.
    Gerade jetzt glaubte sich Bergengruen unbeobachtet, und um seine runzligen Mundwinkel zuckte es verräterisch.
    Bert Wallraff klopfte lauter.
    Bergengruen wirbelte mit seinem Bürostuhl herum, riss die Augen hinter der dicken Hornbrille weit auf und vergaß glatt das Umschalten.
    Verärgert hievte er seinen alten Körper aus dem federnden Sessel und schlurfte auf Wallraff und die Glasfront zu.
    »Spinnst du? Mich so zu erschrecken!«, raunzte er wenige Augenblicke später durch das geöffnete Fenster. »Noch ’n Herzkasper und ich ziehe um. Vom Pförtnerzimmer auf Stock zwei.«
    Wallraff sah sich hektisch um. Auf dem Fluss zogen zwei beleuchtete Frachter rheinaufwärts durch die Nacht. Es hätte romantisch sein können. Aber Wallraff war schon längst der Sinn für diese Art von Romantik abhandengekommen.
    Er fischte eine Flasche Steinhäger aus einer Plastiktüte und reichte sie Bergengruen durch das Fenster. Als der alte Pförtner immer noch sehnsüchtig auf die Tüte starrte, holte er die zweite Flasche auch noch heraus.
    Bert Wallraff war klein und kugelrund. Um seinen kahlen, feisten Kopf tanzten die Mücken wie um einen Lampion. Er hatte Mühe, die Flaschen durch das Fenster ins Innere des Altenheims zu reichen. Immer wieder verfing sich sein speckiges Jackett in den dornigen Büschen, die entlang der Uferseite des Hauses gepflanzt waren.
    »Was ist mit der Alten?«
    Bergengruen studierte das Flaschenetikett, als sei er ernsthaft an den Ingredienzen des Gesöffs interessiert. »Hier sind nur Alte. Welche meinst du?«
    »Komm, mach keinen Blödsinn, Mann. Ich habe gehört, die Verwandten sind schon bei ihr. Wird das noch was heute Nacht?«
    Bergengruen zuckte mit den Schultern. »Weiß man ja nicht. Der Doktor war da, und ich habe gehört, dass der Chef schon überlegt hat, wer das Zimmer kriegt. Im Moment ist die Tochter mit ihrem Mann da. Sie guckt andauernd auf die Uhr. Ich glaube, denen wäre auch lieber, es ginge schneller.«
    »Denk an mich, Bergengruen.«
    Bergengruen ließ sich einen Augenblick lang von einer flachbrüstigen Blonden mit Impfnarben ablenken, die sich in einer Badewanne verrenkte. Dann wandte er sich wieder zu Wallraff um und blaffte ihn an. »Was soll ich tun? Soll ich da jetzt reinmarschieren, der Tochter auf die Schulter tippen und sagen: ›Ach, und wenn die Mama endlich ihr Besteck abgegeben hat, wartet da schon einer auf den ganzen ollen Ramsch hier aus dem Zimmer. Das Sofa wandert zur Caritas, die Klamotten machen wir zu Putzlappen, wichtig sind nur die beiden Ölschinken an der Wand.‹ So in etwa?«
    Wallraff fuchtelte mit den Armen. »Sei ruhig, Mann. Du wartest natürlich ab, bis sie endlich abgeschmiert ist, und dann gibst du denen meine Karte.«
    Bergengruen winkte ab. »Jaja, ist ja schon gut. Hab ich dich jemals hängen lassen?« Er hielt die beiden Schnapsflaschen in den Armen wie zwei Neugeborene.
    »Tut mir leid. Ich will dir ja nicht auf den Keks gehen, aber ich hab Druck. Die Bilder kämen jetzt gerade recht.«
    In diesem Augenblick ertönte ein Summen. Bergengruen verschwand vom Fenster und eilte zu seiner Schaltanlage. Einen Augenblick später kam er ohne die Flaschen zurück. Er hatte den Telefonhörer ans Ohr gepresst und zischte Wallraff zu: »Da oben geht’s los. Ich soll noch mal den Doktor rufen. Und jetzt verzieh dich.«
    Wallraff atmete befreit auf und grinste nervös. Er winkte Bergengruen ein letztes Mal zu, bevor er die Uferböschung zum Radweg hinunterkraxelte. Als er sich noch einmal umwandte, sah er noch, wie Bergengruen in den Telefonhörer sprach, gleichzeitig wieder in den Sessel sank und sich zum Fernseher drehte.
    Dann ging er in Richtung Parkplatz, wo er sein Auto abgestellt hatte. Er
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